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Archiv-Artikel

„Es darf keine demokratiefreie Zone geben“

Auch wenn G-8-Gegner im Vorfeld des Gipfeltreffens sogar Straftaten begangen haben – die Maßnahmen von Polizei und Justiz sind völlig überzogen und schüren eher Gewalt, meint der Rechtsexperte der Linkspartei, Wolfgang Neskovic

WOLFGANG NESKOVIC, 58, ist rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss. Von 2002 bis 2005 war er Richter am Bundesgerichtshof. Bekannt wurde er durch eine Vorlage seiner Lübecker Strafkammer, die 1994 zum „Cannabis-Beschluss“ führte. Darin legte das Bundesverfassungsgericht nahe, den Besitz geringer Haschisch-Mengen zum Eigenverbrauch nicht zu bestrafen.

taz: Herr Neskovic, Sie haben die Maßnahmen gegen militante G-8-Gegner scharf kritisiert. Im Vorfeld des Gipfels sind jedoch bereits rund 300 Straftaten begangen worden. Sind da verschärfte Ermittlungen nicht vonnöten?

Wolfgang Neskovic: Natürlich sind Sicherheitsmaßnahmen erforderlich. Darüber besteht kein Streit. Art und Umfang sind jedoch kritikwürdig. Man muss den Eindruck gewinnen, wir befinden uns im Kriegszustand.

Ist das nicht ein völlig unpassender Begriff?

Mobile Krankenhäuser der Bundeswehr mit Intensivstationen, Gefangenensammelstellen, hundert Haftrichter, kilometerlange Barrikaden und Bannmeilen, bundesweite Razzien und die mehrtägige Besetzung einer Poststelle in Hamburg – das demonstriert doch ein außer Kontrolle geratenes Sicherheitsdenken. Hier wird der Ausnahmezustand geprobt, obwohl es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, die solche Maßnahmen rechtfertigen könnten.

Aber fallen Brandanschläge denn nicht unter Terrorismus und rechtfertigen so drastische Ermittlungen?

Nicht ohne weiteres. Es kommt ja nicht nur auf den Brandanschlag an sich an. Vielmehr setzt die Berufung auf Paragraf 129 a – wenn es um die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung geht – die Erfüllung weiterer Tatbestandsmerkmale voraus. So müssen zum Beispiel solche Brandanschläge dazu bestimmt sein, die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates erheblich zu beeinträchtigen. Ich kann nicht erkennen, dass die hier in Frage stehenden Brandanschläge diese Voraussetzung erfüllen.

Gerade für die umstrittenen Durchsuchungen lagen aber doch Beschlüsse von Ermittlungsrichtern vor.

Bislang hat die Bundesanwaltschaft aber keine Belege für die Rechtfertigung ihrer Maßnahmen geliefert. Die Linksfraktion im Rechtsausschuss hat beantragt, dass die Bundesjustizministerin darüber berichtet, welchen Anlass die Bundesanwaltschaft für ihre Maßnahmen hatte und welche Ergebnisse erzielt wurden. Doch die Mehrheitsfraktionen von SPD und CDU haben den Antrag zurückgewiesen.

Ist das üblich?

Das ist ein einmaliger und unerhörter Vorgang, der das erbärmliche Parlamentsverständnis der Regierungsfraktionen beweist, die freiwillig auf ihr Informationsrecht verzichten.

Der Bundesinnenminister schwebt im Hochsicherheitshimmel, Generalbundesanwältin Harms greift hart durch. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Die Generalbundesanwältin ist politische Beamtin, die sich in fortdauernder Übereinstimmung mit den kriminalpolitischen Grundansichten und Zielsetzungen der Regierung befinden muss. Sie kann jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Frau Harms ist deswegen im Rahmen der geltenden Gesetze auch politische Erfüllungsgehilfin der Regierung.

Trotzdem könnte sie doch Zweifel anmelden.

Sie ist Mitglied der CDU und gilt als rechtspolitische Hardlinerin. Das Verhalten der Bundesanwaltschaft im Vorfeld des G-8-Treffens und die öffentlichen Äußerungen von Frau Harms lassen jedenfalls keinen Widerspruch zur Regierungspolitik erkennen. Sie passen zu den sicherheitspolitischen Wahnvorstellung ihres Parteifreundes Wolfgang Schäuble vom Überwachungsstaat Bundesrepublik.

Sie waren jahrelang Bundesrichter. Wie hätte Ihrer Meinung nach eine rechtsstaatliche Sicherheitsstrategie aussehen müssen?

Es sind Konzepte gefragt, die einerseits demokratische Grundrechte wahren und andererseits Sicherheitserfordernissen Rechnung tragen. Dabei muss stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine Polizeistrategie, die auf Deeskalation ausgerichtet ist, im Ergebnis die besten Erfolge garantiert.

Beispielsweise?

Etwa bei der Demonstration auf dem Bonner Hofgarten mit 300.000 Menschen. Oder den diversen 1.-Mai-Veranstaltungen. Eine Strategie, die auf Konfrontation und Machtdemonstration ausgerichtet ist, provoziert eher Gewalt und führt zu unvertretbaren Demokratieeinbußen. Bei einem so herausragenden Ereignis wie dem G-8-Gipfel darf es keine demokratiefreien Zonen geben.

Ist es nicht einfach, Maßnahmen zu kritisieren, die man selbst nicht zu verantworten hat?

Ich mache es mir nicht einfach. Ich weiß aus diversen Gesprächen mit Sicherheitsfachleuten und aufgrund von persönlichen Erfahrungen bei Großdemonstrationen, dass es alternative Sicherheitskonzepte gibt. Solche Konzepte sichern die Balance zwischen demokratischen Grundrechten und Sicherheitsüberlegungen.

INTERVIEW: VEIT MEDICK