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Archiv-Artikel

Ein Kombilohn für alle

Das bedingungslose Grundeinkommen ist weder sinnvoll noch realisierbar. Die Debatte darüber lenkt davon ab, wie unser Sozialsystem gerettet und ausgebaut werden kann

Professor Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt erschien sein Buch „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ in 3. Auflage mit einer Kritik an der Politik der großen Koalition.

In jüngster Zeit ist das bedingungslose Grundeinkommen, sei es als Bürger- oder Existenzgeld, als Sozialdividende oder als negative Einkommensteuer, fast zu einem politischen Modethema avanciert. Dass die unter dem Kontrolldruck ihrer Arge beziehungsweise ihrer Optionskommune stehenden BezieherInnen von Arbeitslosengeld II und ihre organisatorischen Netzwerke hierin eine Alternative zu bedürftigkeitsgeprüften Transferleistungen sehen, ist wenig verwunderlich. Viele vom patriarchalischen Wohlfahrtsstaat à la Bismarck enttäuschte Frauen wiederum hoffen, auf dem Weg über das Grundeinkommen ihre Abhängigkeit vom (Ehe-)Partner beenden und eine längst überfällige eigenständige soziale Sicherung erlangen zu können.

Dass die Forderung nach dem Grundeinkommen in unterschiedlichen politischen Lagern (von der FDP über die CDU und die Bündnisgrünen bis zur Linkspartei) Resonanz findet, liegt vermutlich daran, dass es Gerechtigkeitsvorstellungen eines utopischen Sozialismus mit bürgerlichen Gleichheitsidealen und aus Sicht neoliberaler Ökonomen bewährten Funktionselementen der Marktökonomie verbindet.

Dabei muss es heute darum gehen, den bestehenden Wohlfahrtsstaat durch sinnvolle Reformen weiterzuentwickeln und ihn an die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen einer postindustriellen Gesellschaft mit selbst im Wirtschaftsaufschwung nur geringfügig sinkender Massenarbeitslosigkeit, bis in die Mittelschichten reichenden Verarmungstendenzen, Millionen prekären Beschäftigungsverhältnissen sowie ökologischen Verwerfungen anzupassen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sozialstaat aber nicht „vom Kopf auf die Füße stellen“, wie der grüne Bundestagsabgeordnete Reinhard Loske meint, sondern ihm den Todesstoß versetzen.

Denn er könnte die neben der Armutsbekämpfung für einen Wohlfahrtsstaat konstitutiven Funktionen der Lebensstandardsicherung im Falle sozialer Existenzrisiken wie Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit sowie des Ausgleichs zwischen Arm und Reich noch unzureichender erfüllen als bisher. Oder gar nicht mehr – wenn die Sozialversicherungen zugunsten des Grundeinkommens entfallen, wie es die einflussreichsten Modelle vorsehen.

Nicht nur die Armut, sondern parallel dazu auch der Reichtum wächst in einer in der Bundesrepublik bisher unbekannten Weise. Die soziale Polarisierung ist neben der Prekarisierung das grundlegende Problem unserer Gesellschaft. Es ist also mehr ausgleichende Gerechtigkeit nötig. Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, so wenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen. Letztlich wäre es ein Kombilohn für alle.

Weil das Existenzminimum seiner BezieherInnen gesichert wäre, könnten diese noch schlechter entlohnte Jobs annehmen, wodurch den Unternehmen mehr preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und die Gewinne noch stärker stiegen. Gleichzeitig wäre die Regierung nicht nur ihrer Pflicht enthoben, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Es wäre möglich, soziale Deregulierungen durchzusetzen, etwa den Kündigungsschutz zu lockern oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken. Wenn (fast) alle bisherigen Transferleistungen in einem Grundeinkommen aufgingen, hätten Neoliberale ihr Ziel erreicht, das traditionsreiche Sozialversicherungssystem zu zerstören, und könnten den Systemwechsel noch dazu als Wohltat für die Bedürftigsten hinstellen.

Die Mehrwertsteuer ist jedenfalls keine sozial gerechte Finanzierungsquelle

Seine grünen Befürworter wie Reinhard Loske erhoffen sich von dem garantierten Mindesteinkommen paradoxerweise eine Lockerung jener Verbindung zwischen Sozialleistungen und Erwerbsarbeit, die ihre Partei etwa durch die Kopplung von „aktivierendem“ Leistungsbezug und Gegenleistungen (1-Euro-Jobs) bei Hartz IV erst vor kurzem in nie gekannter Rigidität gestrafft hat. Selbst wenn die Arbeitslosen durch ein von der Erwerbsarbeit abgekoppeltes Grundeinkommen materiell besser als bisher abgesichert wären – was im Modell des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) übrigens nicht der Fall ist –, bliebe das Problem ihrer sozialen Ausgrenzung bestehen.

Während sich eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung in den Bismarck’schen Wohlfahrtsstaat einfügen lässt und eine solidarische Bürgerversicherung dessen sinnvolle Erweiterung und logische Fortentwicklung wäre, erscheint das Grundeinkommen in diesem Sicherungssystem als Fremdkörper. Davon hätten weder Unter- noch Mittelschichten die geringsten Vorteile zu erwarten. Ihnen würde nur mehr „Eigenverantwortung“ zugemutet und die Hauptlast der Kosten aufgebürdet. Denn als geeignete Finanzierungsform werden fast ausnahmslos indirekte Steuern vorgeschlagen.

Das über eine drastisch erhöhte Mehrwertsteuer finanzierte Grundeinkommen dient als Hebel, um die Lohn- und Einkommen- wie auch die Unternehmensteuern schrittweise abzuschaffen. Götz W. Werner, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der dm-Drogeriemarktkette, rückt die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens so stark in den Mittelpunkt, dass es fast scheint, als bezwecke er weniger die Befreiung der Menschen vom Arbeitszwang als die steuerliche Entlastung der Unternehmer. Denn an die Stelle der Einkommen soll eine von ihm allein für „sozial gerecht“ erachtete „Ausgabensteuer“ treten. Das Grundeinkommen, das Werner als bloße „Rücküberweisung des Grundfreibetrages“ interpretiert, würde somit zum Abfallprodukt seiner steuerpolitischen Reformkonzeption degradiert.

Folgt man nicht der Standortlogik – wonach die Mehrwertsteuer im Unterschied zu den gesetzlichen Lohnnebenkosten auch die ausländischen Unternehmen trifft –, sondern der sozialen Gerechtigkeit als Richtschnur, scheidet die Mehrwertsteuer als Finanzierungsquelle aus. Sie nimmt keine Rücksicht auf die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der ihr unterworfenen BürgerInnen und trifft besonders kinderreiche Familien, die in Relation zu ihrem niedrigen Einkommen einen relativ hohen Konsumgüterbedarf haben.

Das Grundeinkommen würde dem Sozialstaat den Todesstoß versetzen

Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll, finanzierbar und realisierbar ist, erscheint fraglich. Es dürfte kaum die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden. Für sie spielt es eine Schlüsselrolle, warum jemand in eine Notlage gekommen ist und wie bedürftig jemand ist. Das nicht auf Erwerbsarbeit gegründete und „leistungslose“ Einkommen bleibt deshalb wohl eine Utopie, die nur von wirtschafts- und sozialpolitischen Nahzielen wie einem gesetzlichen Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzungen und einer Grundsicherung ablenkt, die ihren Namen verdient.

CHRISTOPH BUTTERWEGGE