: Afrika – Kakafrik – Rikafa
Jenseits der zivilisierten Welt stellt sich die Frage nach der Herkunft der Kartoffel DAS SCHLAGLOCH von ILIJA TROJANOW
Neuerdings bewirbt Mcdonald’s – zumindest in Wien – seine nahrhaften Produkte mit einer merkwürdigen Werbung. Eine Frau mit dem Auftrag sympathisch zu wirken steht vor einem Kartoffelfeld und sagt: „Ich habe immer geglaubt, die Pommes kommen aus Dschibuti.“ Die Frau wird als Qualitätsscout Maria Proska-Poraheim vorgestellt und der Acker im Hintergrund wirkt durch und durch vertraut, heimisch, zentraleuropäisch.
Ein wenig muss man sich schon wundern, dass bei Mcdonald’s Qualitätsscouts arbeiten. Besonders merkwürdig ist aber dieses „Dschibuti“. Wieso sollten die Kartoffeln am Schwedenplatz im Ersten Bezirk gerade aus der Wüste von Dschibuti kommen? Der kleine Staat am Horn von Afrika ist eher bekannt als Militärbasis im ewigen „Krieg gegen den Terror“, und einigen wenigen vielleicht noch als Herkunftsland des wunderbar gewitzten Erzählers Abdourahman Waberi, der momentan in Berlin weilt. Aber die Werbeagentur hatte bestimmt weder Flugzeugträger noch absurde Kurzgeschichten im Sinn. Dschibuti ist einfach ein schön klingender Lückenbüßer in der eigenen Fantasie; ein Signifikant für eine bedrohliche Fremde – undurchschaubar, unberechenbar und auf jeden Fall ganz weit weg. Mit einem Wort: Dort, wo die Qualitätsstandards des Westens nicht mehr hinreichen.
Dschibuti wird benutzt wie früher Timbuktu oft verwendet wurde. Es verweist auf etwas, das man nicht näher kennenlernen möchte, auf all das, was jenseits der zivilisierten Welt liegt. Es hat Timbuktu wenig geholfen, dass es eine der führenden Bibliotheken der Welt beherbergte und jahrhundertelang Hauptstadt eines hoch entwickelten Reiches war. In letzter Zeit bin ich bei unterschiedlichen Anlässen gefragt worden, wieso Afrika und seine Kultur von uns Europäern weiterhin ignoriert und missachtet werde (impliziert in der Frage war natürlich ein „obwohl wir doch eigentlich heutzutage so aufgeklärt und unvoreingenommen sind“). Nun kann ich antworten: Weil die Kartoffeln nicht aus Dschibuti stammen.
Aus Afrika kommen nur Versatzstücke für unserer übersättigte und gelangweilt dahinplätschernde Kur-Kultur. Afrika ist ein Selbstbedienungsladen für jeden, dem gerade die Ideen ausgegangen sind und der sich einiges verspricht von ein wenig tropischer Würze.
Etwa für Björk, deren neue CD namens „Volta“ dieser Tage ziemlich unkritisch medial abgefeiert wird. In einer führenden Wochenzeitung wird die Isländerin gar vorgestellt als „elektronische Schamanin“. Hohes Lob für jemand, der die Rituale des Sampelns beherrscht. „Sie habe die eineinhalb Jahre der Kollaborationen und Aufnahmen, unter anderem in Mali, in Asien und auf einem Boot in Tunesien, als eine Art lange Improvisation erlebt, hat Björk erzählt.“ Mali? Ach ja, Mali! Für die Welt der Popmusik etwa das, was Dschibuti in der Pommesszene darstellt. Mali ist im Kommen, hört man allenthalben. Schon André Heller wusste das, als er einen Virtuosen der Kora im Hintergrund spielen ließ, während im Scheinwerferlicht ein Gaukler aus Äthiopien mit Bällen jonglierte. Auch Grönemeyer wusste das, als er das blinde Paar Amadou et Miriam auf die Bühne holte, um gemeinsam die Fußball-WM 2006 zu feiern. Nur zu verständlich, dass Björk auf der Suche nach unverbrauchten Rhythmen auch dort vorbeischaute.
„Ich hatte eigentlich schon das gesamte Album fertig … aber manchmal ist es am besten, wenn man völlig spontan handelt. Hat man sich dazu entschlossen, muss man sich von den Synergien treiben lassen und alle kreativen Türen offen halten. Ich flog also nach Mali, um Toumani Diabaté zu treffen, und ich hatte drei unterschiedliche Texte im Gepäck. Erst vor Ort wollte ich entscheiden, während der Aufnahmen, weil es etwas ganz anderes ist, wenn man sie gemeinsam mit anderen Musikern im Studio singt. Der Song ist als Reaktion auf eine Schlagzeile über eine Palästinenserin entstanden, die in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, weil sie schwanger war, und sich dann selber in die Luft sprengte. Letztlich entschied ich mich für diesen Text; die Entscheidung fiel erst in letzter Minute in meinem Hotelzimmer … im Zustand eines absoluten Jetlag. Ich wählte diesen Text nur aus, weil die Silbenfolge besser passte.“ Da hat die schwangere Palästinenserin aber Glück gehabt; man stelle sich nur vor, ihr Name hätte eine Silbe mehr gehabt?
Björk wurde 1965 in Reykjavík geboren, Toumani Diabaté kam im selben Jahr in Bamako zur Welt, als Sohn eines Griots, in einer Familie, die seit dem 13. Jahrhundert ununterbrochen Griots stellt, jene westafrikanischen Dichter und Sänger, Chronisten und Weisheitsträger, die das Rückgrat der traditionellen Kultur bilden. Berühmt ist der Satz von Amadou Hampâté Bâ: „Wenn ein Griot stirbt, verschwindet eine ganze Bibliothek.“ Zufällig war Peter Pannke, Deutschlands führender Kenner jenes Phänomens, das widersprüchlich und unklar unter dem Stichwort „Weltmusik“ subsummiert wird, und Autor des verzaubernden Buches „Sänger müssen zweimal sterben“, gerade zu Besuch bei dem Kora-Meister Diabaté in Bamako.
Er berichtet von einer erstaunlichen Nicht-Begegnung: „Toumani hatte am Nachmittag des vorigen Tages mit Björk an einem gemeinsamen Stück gearbeitet. Er lud mich ein, am nächsten Morgen mit ihm ins Bogolan-Studio zu fahren, um die Aufnahme zu hören. Doch die Pop-Prinzessin war schon wieder abgeflogen, ohne sich zu verabschieden. Toumani fand nur eine Nachricht ihres New Yorker Partners Matthew Barney auf seiner Mailbox vor: It was nice in Mali, thank you! See you next time in Iceland! Der Tontechniker war besonders verärgert. ‚Vorhin war sie hier, hat sich die Aufnahme auf ihren Laptop überspielt, und schon war sie wieder weg! Diese Leute wissen nicht, wie man sich zu benehmen hat! Sie betreten ein Land, als ob sie in ein Restaurant gehen. Beim Rausgehen begleichen sie schnell die Rechnung, und kurz darauf haben sie schon wieder vergessen, wo sie gewesen sind.‘“
„Hope“ hat Björk den Song betitelt, bei dem der großartige Toumani Diabaté mitspielen darf. Tatsächlich hört man auf der CD das Zupfen einer Kora. Doch zu welchem Zweck? Laut der Musikjournalistin der Zeit treibt Björk mit ihrem pochenden künstlichen Beat dem virtuosen Saitenspiel von Toumani „jede Anmutung von Weltmusikkitsch aus“. Das muss man sich mal auf den Ohren zergehen lasen. Wenn der Meister aus Mali alleine spielt, droht hohe Kitschgefahr, von der er – Gudmonsdottir sei Dank – gerettet wird durch die Volt-Schamanin und ihrer kosmisch erdverbundenen Weltanschauung: „I mean, the human race, we are a tribe, let’s face it …We’re all fucking animals, so let’s make some universal tribal beat! We’re pagan, let’s just march on!“
Ich wünschte mir so sehr, die Kartoffeln wären aus Dschibuti.
Ilija Trojanow hat derzeit die Heiner-Müller-Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin inne.