: Deutscher Bachelor ist kein Masterstück
Mit den Studiengängen Bachelor und Master sollen Studierende schneller zum Abschluss kommen. Doch die Beschleunigung sorgt für Versagensängste, wie eine Studie an der Humboldt-Uni zeigt. Denn viele Studis müssen nebenbei noch jobben
AUS BERLIN MARTIN KAUL
Wenn sich die europäischen Bildungsminister ab morgen in London über den Umsetzungsstand des Bologna-Prozesses verständigen, kann Annette Schavan immerhin aktuelle Zahlen aus Deutschland vorlegen. Freuen dürfte sie sich jedoch nicht darüber.
Laut einer gestern in Berlin veröffentlichten Studie sind Studierende mit der Umsetzung des Bologna-Prozesses weitgehend unzufrieden, häufig sogar verängstigt. Dieser Prozess wurde 1999 von den europäischen Bildungsministern in Gang gesetzt mit dem Ziel, die europäischen Hochschulsysteme anzugleichen. Dabei werden auch die deutschen Magister und Diplome flächendeckend abgeschafft und durch Bachelor- und Masterstudiengänge ersetzt. Mit der 320-seitigen Studierbarkeits-Umfrage, für die 2.100 Studierende an der Berliner HU befragt wurden, legten erstmals Studierende einen umfassenden Lagebericht vor.
Die Hauptziele des Bologna-Prozesses, eine höhere Flexibilität und Mobilität der Studierenden, seien nicht erreicht worden, heißt es in der Umfrage zur Studierbarkeit der neuen Studiengänge. Viele Studiengänge seien schlecht organisiert und die Beratungsstrukturen häufig mangelhaft. Zudem fördere eine schlechte Umsetzung des Bologna-Prozesses eine zunehmende soziale Schieflage zutage.
Bemängelt wird in der Studie vor allem, dass die Bachelor- und Masterstudiengänge an der Lebensrealität der Studierenden vorbeigingen. Über 80 Prozent der befragten Studierenden sehen in dem neuen Bachelor-Abschluss keine hinreichende Berufsqualifizierung. Zwei Drittel der Studierenden streben einen Masterabschluss an. Doch wer unter welchen Bedingungen in diesen Genuss kommen darf, wissen die Studierenden nicht. Klar hingegen wird: Stress, Druck und Versagensängste prägen die Studierendengeneration zunehmend. Hochschulforscher Tino Bargel von der Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung sieht darin ein bundesweites Phänomen. Gegenüber der taz sagte er: „Die Unsicherheit unter den Studierenden wird nicht etwa kleiner, sondern größer.“
Auch offenbart die Studierenden-Umfrage eine strukturelle soziale Schieflage: Fast 80 Prozent der Berliner Befragten gaben an, mehr als 38 Stunden in der Woche für die Uni aufzubringen, gleichzeitig sind über 60 Prozent der Studierenden nebenher erwerbstätig.
„Sobald unter diesen Umständen auch noch eine soziale Belastungssituation entsteht“, so Eva Fuchslocher von der Projektgruppe Studierbarkeit, „wird die neue Studienstruktur oftmals unstudierbar.“ Wer Kinder habe oder chronisch krank sei, sei daher strukturell benachteiligt. Schuld daran, so Fuchslocher, sei die sehr restriktive Studienstruktur, die im Zuge des Bologna-Prozesses eingeführt werde. „Ein Teilzeitstudium etwa ist faktisch kaum möglich. Selbst Studium und Job sind oft kaum miteinander zu vereinbaren“, so die 29-Jährige. „Studiengänge müssen realistisch gestaltet werden und Studierende müssen hinreichend abgesichert sein, etwa durch angemessene Bafög-Leistungen. Beides ist nicht der Fall.“
Die Berliner Daten sind nicht nur ein lokales Phänomen. „Diese Ergebnisse sind verallgemeinerbar“, bestätigt Hochschulforscher Bargel. „Wir messen seit Jahren ähnliche Entwicklungen.“
Selbst aus der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hagelte es Kritik am Umsetzungsstand der Bologna-Reform. Peter Zervakis, Projektleiter der Service-Stelle Bologna bei der HRK, sagte der taz, die Studie offenbare Probleme, wie sie auch an anderen Hochschulen zu beobachten seien. Als hauptsächliche Ursache nennt Zervakis Geldmangel. Für eine sinnvolle Umsetzung der Bologna-Reformen bräuchten die Unis zusätzliche Mittel.
Anders als die HRK geben die Studierenden allerdings nicht allein der Politik die Schuld. Konstantin Bender vom Studierendenverband fzs sagte der taz: Speziell in Deutschland hätten es sich die Hochschulen zur Aufgabe gemacht, im Zuge des Bologna-Prozesses „strukturell unstudierbare Studiengänge zu entwickeln“. Die Studie fördere empirische Tatsachen zutage, die in der Praxis lange ignoriert worden seien, so Bender.