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Archiv-Artikel

Keine Perspektive für „saubere Kohle“

Energieszenarien der Bundesregierung halten Klimaziel auch ohne Atomkraft für erreichbar – zu etwas höheren Kosten. Forscher erwarten, dass ab 2015 keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz gehen. Klimagipfel am 3. Juli

BERLIN taz ■ Dass Befürworter und Gegner der Atomkraft ein Gutachten gleichermaßen begrüßen, kommt selten vor. Bei den neuen „Energieszenarien“ für das Jahr 2020, die die Prognos AG und das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) im Auftrag der Bundesregierung untersucht haben, ist das der Fall. Denn die umfangreichen Berechnungen der Institute zeigen: Das Ziel der Bundesregierung, die klimaschädlichen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern, ist zu überschaubaren Kosten erreichbar. Und zwar sowohl durch den stärkeren Ausbau erneuerbarer Energien als auch durch längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Institute haben drei unterschiedliche Szenarien durchgerechnet. In allen Fällen gehen sie davon aus, dass sich die Energieeffizienz bis 2020 verdoppelt und die Wirtschaft im Mittel um 1,8 Prozent pro Jahr wächst. Für CO2-Emissionszertifikate wird angenommen, dass sie bis 2020 komplett versteigert werden und ihr Preis auf 22 Euro pro Tonne steigt; der Ölpreis sinkt um zehn Prozent auf 49 Dollar.

Wenn die Regierung sich an den Koalitionsvertrag hält – allmählicher Ausstieg aus der Atomkraft und mäßiger Ausbau erneuerbarer Energien – sinken die CO2-Emissionen bis 2020 um 39 Prozent. Wenn die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden, wie kürzlich von Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gefordert, lassen sich die Emissionen um 41,3 Prozent senken. Wenn sämtliche Atomkraftwerke bis 2020 weiterlaufen würden, wie von Union und Wirtschaft gefordert, läge dieser Wert bei 45,3 Prozent. Das Erneuerbare-Energien-Szenario würde im Vergleich zum Atom-Szenario Mehrkosten von rund 4,4 Milliarden Euro bedeuten. Die Strompreise könnten um rund 2 Cent pro Kilowattstunde steigen.

Die Berechnungen sollen als Grundlage für die Diskussion beim nächsten Energiegipfel zwischen Bundesregierung und Wirtschaftsunternehmen am 3. Juli dienen, bei dem über den künftigen Energiemix in Deutschland beraten wird. Doch schon direkt nach Übergabe der internen Berechnungen streuten die unterschiedlichen Interessengruppen gestern ihre jeweilige Interpretation. Aus Kreisen der großen Stromkonzerne verlautete, man sehe sich in der Forderung nach längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke bestätigt. Im Umweltministerium wurde hingegen betont, die Studie zeige gerade, dass sich die Klimaschutzziele auch erreichen lassen, wenn am Atomausstieg festgehalten wird. „Der Klimaeffekt der Atomkraft ist minimal“, sagte ein Experte aus dem Ministerium der taz. Frank Asbeck, Vorstandschef des Photovoltaik-Produzenten Solarworld, kritisierte die Prämissen der Szenarien als unrealistisch. „Die Preise für Öl und CO2-Zertifikate werden höher sein – dadurch werden erneuerbare Energien besser abschneiden als prognostiziert“, sagte er der taz.

Aus den Berechnungen von Prognos und EWI geht aber nicht nur hervor, auf welche Weise sich die Emissionen senken lassen – sondern auch, welcher Technik die Forscher keine Rolle beimessen: Die von den Stromkonzernen versprochene „saubere Kohle“, bei der das CO2 aus den Abgasen gefiltert und unterirdisch gelagert wird, kommt in den Szenarien nicht vor. Bis zum Jahr 2020 werde die Technik nicht wirtschaftlich zu realisieren sein, so die Begründung. Weil der Betrieb von Kohlekraftwerken ohne CO2-Abscheidung aber durch den Emissionshandel zu teuer werde, prognostizieren die Szenarien, dass entgegen den Ankündigungen der Unternehmen nach dem Jahr 2015 kein neues Kohlekraftwerk mehr ans Netz geht. MALTE KREUTZFELDT