: Indien fühlt sich atomar gegängelt
Das „historische“ Atomabkommen zwischen Indien und den USA ist in Gefahr. In beiden Ländern sind die Gegner auf dem Vormarsch. Doch ohne Lieferabsprachen mit den USA geht Indiens zivilem Atomprogramm der Brennstoff aus
DELHI taz ■ Das als historisch gepriesene Nuklearabkommen zwischen den USA und Indien droht zu platzen. In den letzten Wochen ist der Ton der Kommentare aus beiden Hauptstädten merklich gereizter geworden, in beiden Ländern sind die Gegner des Abkommens im Aufwind.
In Washington haben die traditionellen Proliferationsgegner haben die verfahrenen Verhandlungen zum Anlass genommen, um ihre Kampagne gegen die bevorzugte Behandlung eines Nichtmitgliedslandes des Atomwaffensperrvertrags neu zu lancieren. Und in Indien hat das wissenschaftlich-technische Establishment seine Angriffe auf die „schweren Einschränkungen der Souveränität des Landes“ erhöht, die in einem bilateralen Abkommen für alle Ewigkeit festgeschrieben würden.
Die Regierungschefs beider Länder hatten bei einem Gipfeltreffen am 18. Juli 2005 in Washington verkündet, eine neue zivilnukleare Partnerschaft zu begründen. Dabei würde das Lieferverbot von Uranium und Technologie an den atomaren Pariah Indien – es hat den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet – aufgehoben, zunächst von den USA, im Nachgang dann von allen 43 Mitgliedstaaten der Nuclear Suppliers Group (NSG). Im Gegenzug würde Indien, das 1998 zum zweiten Mal nach 1974 Atomwaffentests durchgeführt hat, sein Reaktorprogramm in einen militärischen und einen zivilen Teil trennen und Letzteren den Kontrollen der UNO-Atomenergiebehörde unterstellen. Delhi würde zudem freiwillig an seinem Testverzicht festhalten.
Daraufhin verabschiedete der US-Kongress Ende 2006 eine Änderung des Atomenergiegesetzes. Der sogenannte Hyde Act erlaubt es Washington, Indien, obwohl nicht Mitglied des Sperrvertrags, mit Nukleartechnologie zu versorgen. Nun ist aber plötzlich Sand ins Getriebe gekommen. Die genaue Lektüre des Hyde Acts zeigte nämlich, dass Indien der angestrebte Status einer Atommacht weiterhin verweigert wird. Denn die USA fordern von Delhi zwei Dinge, die dieses nur schwer schlucken kann. Zum einen soll das freiwillige Testmoratorium bilateral festgeschrieben werden. Damit würde eine Verletzung Sanktionen nach sich ziehen, die bis zum Lieferstopp führen könnten. Die zweite Bedingung ist noch heikler: Indien hat mit dem Kauf von atomarem Rohstoff nicht auch automatisch das Recht, diesen dann wieder aufzuarbeiten. Es muss die abgebrannten Brennstäbe an die Liefernation zur Neuaufbereitung zurückgeben. Die USA wollen damit sicherstellen, dass diese nicht dem militärischen Programm Indiens zugute kommen.
Damit zeigen die USA, so die indischen Kritiker des Abkommens, dass sie ihrem strategischen Partner weiterhin den Status einer Atommacht verweigern. Für die Nationalisten wäre eine Unterschrift eine Einschränkung der Souveränität. Der Atommeiler von Tarapur nördlich von Mumbai ist für sie ein Mahnmal: Dort lagern seit über dreißig Jahren große Mengen abgebrannten Brennstoffs. Er konnte nicht wieder genutzt werden, weil die USA 1974 die Zusammenarbeit kündigten und Indien gemäß dem damaligen Vertrag zwangen, den Brennstoff einzumotten.
George Bush und Manmohan Singh müssten mit dem Einfrieren des Abkommens eine empfindliche Prestigeeinbuße in Kauf nehmen. Während Bush damit einen der wenigen außenpolitischen Erfolge seiner zweiten Amtszeit preisgäbe, müsste Indien seine Vision einer globalen Macht zunächst einmal begraben. Dies betrifft nicht in erster Linie das militärische Programm, da Indien dafür über genügend strategische und technische Reserven verfügt.
Doch Indien will den Anteil der Atomenergie von drei auf zehn Prozent erhöhen – doch für ein derart ambitiöses Programm fehlen dem Land die Uranreserven, und bislang auch die neuesten Reaktortechnologien. Dies könnte die wirtschaftliche Aufholjagd, zu der Indien angesetzt hat, verlangsamen. Denn das dicht bevölkerte Land hat immer größere Schwierigkeiten, andere Formen der Energieerzeugung auszubauen. Große Wasserkraftwerke erzeugen heute mehr politischen Widerstand als Strom. Und die Generation von Thermalstrom aus billiger und umweltschädigender Kohle könnte gebremst werden, wenn sich Indien in Zukunft auf strengere Umweltvorschriften verpflichten muss. BERNARD IMHASLY