: „Mindestlohn kostete keine Arbeitsplätze“
Im Vereinigten Königreich haben die Mindestlöhne funktioniert, meint der Sozialrechtler Bernd Schulte
BERND SCHULTE, 60, ist am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht zuständig für Großbritannien.
taz: Herr Schulte, wer immer in Deutschland Mindestlöhne fordert, verweist auf die positiven Erfahrungen in Großbritannien.
Bernd Schulte: Zu Recht. Dort sind Regierung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer einmütig der Meinung, dass die Einführung des Mindestlohns sinnvoll war.
Aber lassen sich Deutschland und Großbritannien vergleichen? Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat da seine Zweifel.
Die Wirtschaftspolitik beider Länder ähnelt sich stark. Großbritannien ist sogar noch neoliberaler als Deutschland. Es hat schon sehr viel früher eine Politik wie Hartz IV betrieben.
Und wie passt ein Mindestlohn zur neoliberalen Politik?
Margaret Thatcher hat die Macht der britischen Gewerkschaften gebrochen. So waren verlässliche Tarifregelungen nicht mehr möglich. Daher wurde unter Labour eine unabhängige Low-pay-Commission gegründet, um wenigstens einen Mindestlohn festzulegen. Langsam werden die deutschen Gewerkschaften ähnlich schwach – wenn etwa eine Friseuse in Brandenburg nur 3,15 Euro pro Stunde verdient.
Der britische Mindestlohn liegt bei etwa 7,90 Euro pro Stunde. Ist das nicht zu hoch für Deutschland?
Der Aussagewert dieser Vergleiche ist begrenzt. So sind die britischen Lebenshaltungskosten teilweise höher. Außerdem muss man den Mindestlohn im Verhältnis zum Durchschnittslohn und zu den Leistungen für Arbeitslose sehen. Das ist wahnsinnig kompliziert. Deswegen gibt es ja eine eigene Mindestlohnkommission. Aber wichtig ist: Der Mindestlohn scheint in Großbritannien keine Arbeitsplätze gekostet zu haben. Dort ist die Arbeitslosenquote nur halb so hoch wie hier.
Trotz Mindestlohn benötigen knapp 5,4 Millionen arbeitsfähige Briten zusätzliche Unterstützung vom Staat.
Das ist kein Widerspruch. Mit ihren „Tax Credits“, also steuerlichen Einkommenszuschüssen, haben die Briten eine Art Kombilohn. Da ist die Gefahr groß, dass die Arbeitgeber den Staat ausnützen, wenn es keinen Mindestlohn gibt. Sie würden ihren Beschäftigten einfach noch weniger zahlen, weil ja alle wissen, dass der Staat einspringt. Mit Hartz IV hat Deutschland ansatzweise auch eine Art Kombilohn.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN