: Kunststadt im Probemodus
Schluss mit den Präsidentenporträts, her mit den Hexendessous? Syriens Künstler schwanken zwischen Selbstzensur und Moderne-Zitat. Kann es einen dritten, eigenen Weg geben?
AUS DAMASKUS JUDITH LUIG
„Syrische Kunst gibt es nicht.“ Mahmoud Shahin ist sich sicher. „Zumindest noch nicht. Vielleicht in 50, vielleicht in 100 Jahren haben wir den Charakter einer arabischen Kunst gefunden – aber jetzt?“ Der Professor für Bildhauerei wirft einen Blick auf die Objekte seiner Studenten und sagt: „Wir stecken mitten in der Testphase.“
Die am Vortag im Goethe-Institut in Damaskus‘ gutsituiertem Stadtteil Malki eröffnete Ausstellung scheint seine These zu belegen. Auf einem Podest umschlingen sich zärtlich halbabstrakte Keramiktauben, in der Ecke kauert ein Gipsmädchen, an der Wand hängt Surrealismus neben Realismus.
Doch etwas versteckt in einer Nische baumelt ein Kopf aus Ton an einem Strick – die Hinrichtung eines Mannes mit feinen arabischen Zügen und Bart. Auf dem Boden Blut. Zwei schwarze Fußabdrücke erinnern daran, dass hier eigentlich auch sein Körper hängen müsste. Gerade dieses Fehlen ist das Beunruhigende in Ayham Hueisaghs Werk. So könnte sie aussehen, eine engagierte Kunst, die sich mit der Gewalt der Region auseinandersetzt. Eine Gewalt, bei der wie in dieser Installation die Ursprünge nicht immer klar sind.
Seine eigenen Arbeiten, so Shahin, sind keine Ausnahme von der Fixierung auf europäische Traditionen. „Meine Kunst? Das sind nackte Frauen.“ Der Bildhauer hat in den 70ern in der DDR studiert – im damaligen Bruderstaat Syriens –, und man sieht es ihm immer noch ein wenig an. Beim Sprechen kritzelt er Ziffern auf ein Blatt: 1900 steht da, der Beginn syrischer Unabhängigkeitsbestrebungen, und 3.000, die Zahl der Absolventen der Damaszener Kunsthochschule seit 1960.
Die Zahl 2.000 fehlt in der Liste. Doch die wäre besonders interessant: Im Juli 2000 übernahm der damals 34-jährige Baschar al-Assad die Macht. Dreißig Jahre lang war sein Vater, Hafis al-Assad, Präsident eines höchst autoritär geführten Landes, in dem seit 1963 der Ausnahmezustand gilt – bis heute.
Hafis al-Assad hatte es verstanden, das System ganz auf sich zuzuschneiden. Der Präsident ist zugleich Oberkommandeur der Streitkräfte und Generalsekretär der Baath-Partei, die laut Verfassung „Staat und Gesellschaft“ führt. Wer im Lande Macht hat, der hat sie vom Präsidenten. Baschar al-Assad aber erbte mit dem Amt des Vaters auch dessen engste Vertraute – Machthaber, die einmal gewonnene Spielräume nicht mehr beschränken mochten. Trotzdem weckte Baschar al-Assad große Hoffnungen bei den Intellektuellen. Sie gründeten Salons, diskutierten über Einmischung, verfassten das „Memorandum der 99“ und mahnten den Präsidenten, seine Versprechen von Reformen und Respekt für andere Meinungen auch umzusetzen.
Die Illusion einer zivilen Gesellschaft hielt genau ein Jahr – dann zerschlugen die Geheimdienste die Bewegung mit Gewalt und beendeten den „Damaszener Frühling“. In der Folge wurden Dissidenten inhaftiert, so wie der Arzt und Maler Kamal al-Labwani, der nur mit einem Hungerstreik durchsetzen konnte, im Gefängnis weitermalen zu dürfen – „unverfängliche Bilder“. Vor fünf Tagen hat Syrien gewählt. Doch da laut Verfassung die Regierung eine garantierte Zweidrittelmehrheit hat, ging kaum jemand zur Wahl. Einen Tag später wurde der Menschenrechtler Anwar al-Bunni zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Sieben Jahre nach Baschar al-Assads Regierungsantritt ist Syrien deutlich verändert. Die Einkaufsstraße al-Hamra könnte mit der Berliner Friedrichstraße konkurrieren. Der Look, der die Szene dominiert, orientiert sich an Goldstickerei, Brustfreilegung und Stretchkleidchen der Neureichen im Osten Europas. An einer der großen Verkehrsachsen ist gerade das luxuriöse „Four Seasons“-Hotel fertig geworden, ein Riesenkasten, mit Ölgeld gebaut. Im Hof, direkt gegenüber einer alten Moschee, trinkt man jetzt bei Segafredo Cappuccino zum Carrot Cake. In der Gegend von Bab Tuma, im christlichen Viertel, machen laufend neue Restaurants und Nachtclubs auf, in denen die junge Generation – teilweise noch etwas staksig – ihre Neugeburt als Party-People zur Schau trägt.
Während sich Politik und Wirtschaft im internationalen Spannungsfeld neu platzieren, verschiebt sich auch die Kunst. Buthyana Ali, Jahrgang 1974 und wie Shahin Lehrkraft der Kunstakademie, gilt vielen als Verkörperung einer neuen Richtung, die okzidentale Techniken mit orientalischen Themen verfeinert. „Tseretni ruoy rof uoy knaht“, beantwortet sie per Mail meine Interviewanfrage und stellt hintenherum klar, mit wem man es zu tun habe. „Thank you for your interest“ wäre wohl zu geradeaus gewesen. Kunst, so erklärt sie, sei eben Widerspruch. Ralk!
Buthayna Alis jüngstes Werk, „Marionettes 2007“, ist so ein Widerspruch. In verspiegelte Zweimeterboxen hat sie überreizte Reizwäsche gehängt, die Damaszener Wäscheläden so bereitwillig in ihren Schaufenstern zeigen. Besucher können nun per Kette rosa Slips mit goldenen Glöckchen, Plastikhexenstrings oder Chiffon-BHs mit der gedruckten Aufforderung „Kiss me“ per Kette so vor ihren eigenen Körper platzieren, dass sie sich die Teile selbst „anziehen“. „Mein Werk beginnt mit der ersten Assoziation, die ich habe, wenn ich diese Wäsche sehe“, erklärt die Künstlerin, „nämlich: ‚Wer verkauft das in einer derart verschlossenen religiösen Gesellschaft und einer sexuell untergegangenen Stadt?‘ Und: ‚Ich würde das nie tragen. Aber – würde es mir stehen?‘ “
Über Kulturpolitik will sie lieber nicht sprechen. „Syrien hat eine sehr lange Tradition, die lässt sich nicht so einfach ändern“, weicht sie aus. Versuchen will sie es trotzdem. Gerade werden ihre Erotikslips in der Ausstellung „Sexy Souks“ im Pariser Point Éphémère gezeigt. Aber was in Paris cool ist, wäre in Damaskus heikel. Trotzdem will Ali die Installation nach Damaskus bringen – erst dort wird ihre Kunst ja subversiv. „Aber das wird nicht einfach.“
In Syrien entscheidet die Zensur, was Kunst ist. Und da es keine festen Regeln gibt, zensieren sich manche Künstler selbst – um dem staatlichen Übergriff zuvorzukommen. Die deutsche Bildhauerin Pia Stadtbäumer hatte für ein Auftragswerk des Goethe-Instituts ursprünglich geplant, die Tische im Hof mit maskierten Tierskulpturen zu bevölkern. Aber das untersagte man ihr. Tiere dürfe man im Islam nicht darstellen – allerdings wollte Stadtbäumer ja auch keine Moschee ausschmücken. Jetzt sieht man an der wildbewachsenen Mauer ein kleines Mädchen mit einem riesigen Hut auf einem fliegenden Teppich. Die Plastik steht auf einem Stapel Bücher. „Das ist eine Anspielung auf die Erzähltradition, die in beiden Kulturen sehr stark ist“, erklärt Stadtbäumer. Sich mit dem Thema Sprache und Dichtung zu befassen scheint im Goethe-Institut zunächst nicht erstaunlich. Doch zugleich spricht aus der Skulptur die Erwartung ebenso wie die Unsicherheit, die man aus westlicher Perspektive Syrien gegenüber hat. Wie stark werden das Leben und die Kultur hier wirklich von oben reglementiert? Welche Rolle soll man als westliche Einrichtung spielen? Mit der Literatur zitiert Stadtbäumers Figur auch eine Kunst, auf die man sich in Syrien leichter einigen kann. Dichtung ist im arabischen Raum die vorherrschende Kunstform – die bildenden Künste hinken hinterher.
Erst 1998 erschien die erste und bislang einzige Monografie über die zeitgenössische Kunstszene. Noch, das merkt man den einleitenden Texten deutlich an, weiß man zur Gegenwart syrischer Kunst nicht viel zu sagen. Im Vorwort entschwebt Adonis, einer der beliebtesten Dichter der Region, ins Poetische („Die Gegenwart syrischer Kunst ist die Erinnerung und die Zukunft“), und der Künstler Elias Zayyat beschwört die über viertausendjährige Geschichte, beginnend mit arabischer Kalligrafie. Wie schwer es für die Herausgeberin, die Galeristin Mouna Atassi, gewesen sein muss, ein Buch zur zeitgenössischen Kunst zusammenzustellen, zeigt ihre vorausgeschickte Entschuldigung bei den Künstlern, die „aus dem ein oder anderen Grund“ nicht berücksichtigt wurden. Als wäre nicht im Kompendium „Contemporary Art in Syria“ zu stehen, wie nicht in Noahs Arche mitgenommen worden zu sein.
Orientalische Kunst hat Hochkonjunktur auf den Kunstmärkten Europas und Nordamerikas. Der vielbeschworene „Dialog“ mit dem Islam. Zur gleichen Zeit entwickelt aber auch das kaufkräftige Publikum der Golfregion immer mehr Interesse an regionalen Künstlern. Eine Nebenwirkung der gigantomanischen Kunstprojekte: Louvre und Guggenheim, die in Abu Dhabi entstehen sollen, sowie die Dubaier Gulf Art Fair, die bislang teuerste Kunstmesse der Welt, brauchen auch Exponate aus heimischer Produktion.
Mustafa Ali, einer der renommiertesten Künstler Syriens – lokal wie global –, reizt die Entwicklung des Markts zu neuen Ideen. Auf der anderen Seite von Damaskus, weit weg vom „neuen Syrien“, baut Ali an seinem Kunstimperium. Vor einigen Jahren ist der Bildhauer in eines der prächtigen Bürgerhäuser des Jüdischen Viertels gezogen, direkt um die Ecke von der Straight Street, auf der Saulus sich zu Paulus bekehrte. Hier arbeitet Ali jetzt an seinem jüngsten Zyklus, Frauentorsi aus Holz. Er streichelt die Walnussholzrundung einer Skulptur, die durch kleine Bronzezweige durchbrochen ist, und erklärt, dass syrische Kunst von Luft, Meer und Landschaften bestimmt sei.
Die letzten Bewohner des Viertels sind vor knapp 15 Jahren nach Israel ausgewandert und haben ihre Habe Sonne und Zeit überlassen: Alte Holzbalkone sind mit Teppichen verhängt, kleinteiliger Fensterschmuck ist halb zerfallen, und eingestürzte Mauern geben den Blick auf Innenhöfe mit dem charakteristischen schwarzweißen Basalt frei. Noch sind die Besitzrechte nicht überall geklärt, das Thema ist politisch brisant, aber der Vermarktungsprofi Ali träumt bereits von einem Galerienrundgang und einer Künstlerkolonie.
Mustafa Ali spricht ein wenig Italienisch, ein Überbleibsel seiner Studienzeit in Rom, mehr Englisch, die Sprache des internationalen Kunstmarkts, und Arabisch, wenn es darum geht, einen der jungen Männer, die sich hier im Hof tummeln, auf einen Besorgungsgang zu schicken. Zwar bestimmt die Politik Alis Kunstverkauf, aber politisch muss Kunst deswegen nicht sein. „Der Künstler ist Avantgardist. Seine Werke entstehen vor der politischen Lage, nicht in ihr“, sagt er und ist selbst glücklich überrascht von seiner Formulierung.
In der Ausstellung „Styria meets Syria“, die im März in der Neuen Galerie Graz eröffnet wurde, zeigt sich Ali, zusammen mit dem syrischen Multitalent Ahmad Mualla, aktivistisch. Ähnlich wie Buthayna Ali scheint er eine ausländische und eine inländische Künstlerpersona zu haben. Für Österreich hat er eine Pipeline in Szene gesetzt. Ein grob bearbeitetes Stück Rohr, das wie ein Sarg anmutet, ein weißer Kopf schaut aus einem Spalt.
Ali hat die erste NGO für Kunst des Landes gegründet, die Mustafa Ali Foundation. So haben die internationalen sowie nationalen Finanziers einen offiziellen Ansprechpartner. „Kunst braucht Geld“, erläutert Ali nüchtern. Und Organisation. Die konsequente Verstaatlichung alles Privaten hat dazu geführt, dass es in Syrien nur wenige einheimische Galerien gibt. Der Mangel an inländischer Initiative hat den zehn ausländischen Kulturinstituten eine besondere Rolle in der Damaszener Kunstszene zugespielt. Nicht die Vermittlung konkreter Kulturprodukte, sondern vielmehr die Verbreitung kultureller Theorie ist das eigentlich Spannende an ihrer Arbeit. So tauchen dann auch in jeder Künstlervita die Namen auf: Cervantes, Goethe, das Britische und allen voran das Französische Institut. „Ohne die würde sich hier gar nichts bewegen. Das gilt selbst für die Biografien der Etabliertesten“, sagt eine junge Künstlerin, die lieber nicht namentlich zitiert werden will. Allerdings muss man in dieser Position auch aufpassen, nicht als Kulturimperialist aufzutreten.
„In Syrien fehlt ein Konzept von dem, was Kunst ist“, findet Victoria Ambrosini Chenivesse. Die Französin verfolgt die arabische Kunstszene seit 15 Jahren, und Damaskus, wo sie seit zwei Jahren lebt, nimmt ihrer Meinung nach eine Sonderposition ein. „Eine Insel der Isolation, in die jetzt mit aller Macht der Kapitalismus einbricht“, erklärt sie und schiebt einen überdimensionalen Ring an ihrem Finger zurecht. Für sie wird die Kunstszene von Damaskus mittlerweile viel zu sehr durch den Kunstmarkt in Dubai beeinflusst. Die Kunstkritikerin hat sich deswegen ein Entwicklungsprojekt ausgedacht: Sie hat sich drei Fotografen ausgespäht, die ihrer Meinung nach Kitschkunst produzieren, und mit ihnen ein privates Seminar zum westlichen Konzept Kitsch abgehalten. „Ich wollte ihnen vermitteln, wie in der Kunst Grenzen gezogen und durchbrochen werden“, erklärt sie. Bei einem der Künstler sei das leider nach hinten losgegangen: „Jetzt, wo er weiß, was Kitsch ist, hat er sein Talent dazu verloren.“
Martine Cieutat, eine französischer Künstlerin, die seit 20 Jahren in Damaskus lebt, macht es lieber andersrum. Ihre Kunst ist inspiriert von hiesigen Techniken. Manchmal allerdings stört sie die westliche Begeisterung für das orientalische Andere. „So oft schlägt einem die Erwartung entgegen, dass man als Frau hier notwendigerweise unterdrückt sein muss.“ Gerade arbeitet sie mit Rashid Kureishi an 99 Teppichen – der Darstellung einer Mauer für das MoMa in New York.
Als Ausländer fällt es einem manchmal schwer, die Lage vor Ort einzuschätzen. Das Land, so offen es dem Besucher oft entgegenkommt, kann auch schnell wieder auf Distanz gehen. Auf dem Weg in den Vorort Mashru’a Dummar zu dem Künstler Ahmad Mualla fährt der Taxifahrer an einem arabesk verzierten Soldatendenkmal vorbei. Ich bitte ihn anzuhalten, steige aus und mache ein paar Fotos. Erst da entdecke ich ein Schild, auf dem in mindestens zwanzig Sprachen steht: Fotografieren verboten. Daneben stehen Uniformierte mit Maschinengewehren. Ich erschrecke, aber der Fahrer zuckt lächelnd mit den Schultern. Am Abend wird mir jemand erzählen, wie die Geheimpolizei Menschen willkürlich verschleppt und irgendwann ihre Leichen vor die Tür der Eltern legt. Die Assoziation mit einer Ausstellung, der man Kritik an Syriens Politik in den Golanhöhen vorwarf, so erzählt mir jemand anders, habe ihm schon ein Verhör eingebracht.
Ahmad Mualla hält von solchen Geschichten nichts. Aber seine Werke sind auch in der präsidialen Sammlung. „‚Arabisch‘ ist eine Ideologie“, erklärt Mualla recht vieldeutig und sieht dabei mit seinem strähnigen schwarzen Haar und der lässig zerknitterten Anzugkombi aus wie ein französischer Kaffeehausintellektueller. Für eine fiktive Fernsehserie über einen Künstler hat er gerade dessen Oeuvre geschaffen. Ein Bild von Dschihadisten, die sich auf einem Schachbrett unter einem Stacheldraht durchzwängen, sowie das Foto einer Hand, die mit ihrem Klammergriff um ein orientalisches Schwert sich selbst verletzt.
Mit aufwendigen Projekten bringt Mualla sich gerne ins Gespräch. „Die Menschen hier sind bei Picasso stehengeblieben“, das will er ändern. Für das Cervantes Institut hat er vor ein paar Jahren eine neue Form von Raumkunst geschaffen: begehbare Mirós, bei denen einzelne Elemente des Bildes wie überlebensgroße Mobiles durch die Luft schwirren. „So habe ich die Leute dazu gebracht, richtig in die Kunst einzutreten. Zu intervenieren“, erklärt Mualla. Gerade macht der Künstler beim Präsidenten Werbung für eine von ihm geplante Nationalgalerie, in der endlich zeitgenössische Kunst zu Recht und Raum kommen soll.
Bislang hat man noch das Gefühl, dass Gegenwartskunst in Syrien nur im Privaten stattfindet. Die öffentliche Kunst auf den Straßen von Damaskus besteht – neben dem allgegenwärtigen Bild eines etwas unglücklich dreinschauenden Präsidenten, gern auch im Military Look oder als Staatsgraffito im Guerilla-Style – vor allem aus recht bunten Skulpturen aus den ersten Jahren von Hafis al-Assads Regierung. 2008 wird Damaskus Kulturhauptstadt der arabischen Welt – Morgenluft? Die einzig bekannten Programmpunkte, über die bereits überall geredet wird, zeugen von der westlichen Eighties-Sozialisation der Präsidentengattin: Pink Floyd sollen kommen, und Sting.
Je mehr man sich mit der Damaszener Kunstszene beschäftigt, desto deutlicher wird, was Mahmoud Shahin mit „Testphase“ meint: eine langsame, zögerliche Entwicklung von Kunst und Künstlern, die sich im Kraftfeld gesellschaftlicher Umbrüche zu positionieren suchen. Wie in der Politik auf der einen Seite die arabische Welt steht, die von Syrien Solidarität verlangt, und auf der anderen der Westen – zuletzt mit ranghohen Besuchern wie Nancy Pelosi – den Präsidenten Syriens für seine Zwecke zu gewinnen versucht, so steht auch die Kunst zwischen europäischen Traditionen und arabischen Einflüssen.
In diesem Moment der Unsicherheit könnten eigentlich gerade junge Künstler auf sich aufmerksam machen. Doch denen gelingt das meist nur im Ausland. Wie zum Beispiel der Fotograf Hrair Sarkissian – seit fast acht Jahren lebt er vorwiegend als Stipendiat im Ausland: in Amman, Paris oder, demnächst, in Amsterdam. Der 33-Jährige gehört zur armenischen Minderheit. Mustafa Ali, Buthayna Ali sowie Ahmad Mualla sind alle Alawiten – wie der Präsident. „In Syrien läuft die Kunst über Beziehungen“, erklärt Sarkissian.
Sarkissian wohnt in der Nähe des brummenden Einkaufsviertels Sharia Bahsa – nicht ganz so aufwendig wie Mustafa Ali, eher alternativ. An der Wand seines Arbeitszimmers hängt eines dieser schroffen, schwarzlinigen Porträts verärgerter Männer, mit denen der gefragte Newcomer Sabhan Adam international berühmt geworden ist. Der 34-jährige Adam gilt als Grenzgänger, als einer, der die Suche nach Identität – abend- oder morgenländisch – verhandelt. Sarkissian interessieren diese Fragen nicht. „Ich will mein Werk zeigen“, sagt er, „nicht mein Land.“
Auf seinem Mac lädt er seine Fotos hoch. Eines zeigt einen nackten Rücken, der über und über mit arabischen Schriftzeichen bedeckt ist. „Ich wollte ein Sinnbild schaffen, wie Regeln sich in unseren Körper einschreiben“, erklärt Sarkissian. Regeln haben sich auch in sein Werk eingeschrieben. Seine Reihe über menschliche Körperlandschaften konnte nur in Frankreich entstehen, in Damaskus muss er sich wegen der Zensur mit anderen Körpern beschäftigen: etwa den Skeletten von entstehenden Häusern. Dabei hätte Sarkissian eigentlich Lust auf den Regelbruch. Wenn man ihn nach der Zukunft von Syriens Kunst fragt, so antwortet er: „Ich wünsche mir eine Revolution.“
JUDITH LUIG, 32, ist Redakteurin im taz.mag