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lab 2014

Rechtspopulismus in Europa Mehr als ein Lippenbekenntnis

In der EU sind nationalistische Ideologien keine Randerscheinung. Mit einer gemeinsamen Idee von Europa kann dies verhindert werden.

Ob Ost- oder Westeuropa, Rechtspopulismus verbreitet sich überall. Bild: ap

taz.lab: Herr Rau, wird der Rechtspopulismus im westlichen Teil Europas unterschätzt?

Milo Rau: Wohl eher übersehen, denn in vielen westeuropäischen Ländern sind rechtspopulistische Ansichten Allgemeingut - das schließt extremste Meinungen mit ein. Ich arbeite momentan in Belgien an meiner Inszenierung "The Civil Wars", und zu diesem Zweck verbringe ich hin und wieder einen Abend in Antwerpen im "Löwen von Flandern".

Das ist eine berühmte Kneipe, in der sich die Überlebenden der flandrischen SS-Legion mit den Burschenschaften und Mitgliedern der NVA treffen - der größten Partei des flämischen Teils von Belgien, die unter anderem den Bürgermeister in Antwerpen stellt. Der Übergang ist hier fließend.

Unterscheidet sich Rechtspopulismus im östlichen Teil Europas von dem in Westeuropa?

Die Ideen sind überall gleich, und die entsprechenden Gruppierungen und Parteien schlossen sich ja deshalb auch 2007 erstmals im EU-Parlament zu einer Rechtsfraktion zusammen. Aber natürlich hindern die jeweils unterschiedlichen nationalen Obsessionen - zum Glück - eine realistische überstaatliche Zusammenarbeit. Wie mir ein SS-Offizier vor einer Woche im "Löwen von Flandern" ganz treffend gesagt hat: Das letzte gesamteuropäische Experiment von rechts war der Nationalsozialismus.

Ist die Vereinigung Europas reines Lippenbekenntnis, wenn man sich anschaut, wie wenig die EU an den Verhältnissen in Ungarn ändern kann?

Das ist leider wahr - und zugleich das klassische Argument der Rechtspopulisten: dass die EU bloß eine Wirtschaftsunion ist, aber nie eine gemeinsame Idee von Europa hervorbringen wird. Momentan sind die sezessionistischen und neonationalistischen Bewegungen, wie zum Beispiel in Flandern oder Ungarn, stärker als alle Einheitsversuche.

In Ihrem Buch "Was tun?" werfen Sie Linken, aber auch dem Kulturbetrieb politische Irrelevanz vor. Warum sollten Linke sich für die Europawahlen interessieren?

Dyab Abou Jahjah, Leiter der Panarabischen Bewegung in Antwerpen, mit dem ich für die "Civil Wars" zusammenarbeite und der an einem "Amerikanischen Modell" für Europa arbeitet, hat es auf den simplen Satz gebracht:

Entweder wir schaffen uns eine gemeinsame Geschichte, oder wir haben schon bald einen Bürgerkrieg. Entweder wir entwerfen gemeinsam mit allen Minderheiten und Mehrheiten eine europäische Idee, oder der sezessionistische und identitaristische Schwachsinn geht weiter. Und dafür sind die Europawahlen, hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, natürlich ein symbolisches Datum.

Die Fragen stellte Doris Akrap.

Sie ist Redakteurin im Ressort taz.am wochenende und moderiert auf dem taz.lab ein Panel zum Thema Rechtspopulismus.

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