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Nominierte 2016

Nominierte 2016: Peperoncini Crowdfunding für Flüchtlingsrechte

Drei Studentinnen, eine Idee: Mit kleinen Geldbeiträgen Rechtsbeistand für Asylsuchende organisieren und so etwas gegen systematische Schikanen tun.

Léonore Stangherlin und Katharina Enders in ihrem „Büro“: der WG-Küche. Außerdem Teil des Projekts: Clara-Maria Buchstaller (nicht im Bild) Bild: Anja Weber

„Klein. Rot. Bissig“: Das ist das Motto von „Peperoncini“, einer ehrenamtlichen Asylrechtsinitiative aus Leipzig, die Anwaltskosten von Asylbewerber*innen in Minibürgschaften aufteilt, um Zugang zu professioneller Rechtsverteidigung zu schaffen.

Peperoncini, das sind momentan Léonore Stangherlin und Katharina Enders, zwei Student*innen der Politikwissenschaften aus Leipzig. Die beiden 21-Jährigen sitzen am WG-Küchentisch, von dem aus sie im September 2015 gemeinsam mit der dritten Mitgründerin Clara-Maria Buchstaller ihre Initiative ins Leben riefen. Seither haben sie schon sieben Klagen finanziert. Zwei bekamen ein negatives Urteil, die anderen Verfahren laufen noch.

Am Kühlschrank hängt ein Putzplan und das Logo von Peperoncini: eine rote Waage mit einer Waagschale auf der einen Seite und einem Peperoncino auf der anderen. Dessen Seite hängt tiefer. 

Einfach, aber genial: Minibürgschaften für Klageverfahren

Sie haben sich für den Namen Peperoncini entschieden, weil sie nicht all ihre politischen Ideen und Ideale zu einem komplizierten Namen bündeln wollten. Sie wollten einen merkbaren Namen, erzählt Léonore Stangherlin. Ihre Arbeit hat kein Büro, in ihrer WG-Küche am Tisch wird an Peperoncini gewerkelt. Auf dem Balkon wachsen Tomaten und ein Zitronenbaum.

Lange haben sie in Rechtsberatungsinitiativen für Geflüchtete gearbeitet und sind dabei immer wieder auf das Problem gestoßen, dass einE Anwält*in benötigt wird, die keine Kapazitäten haben, um Spenden zu organisieren. Etwas Systematisches musste her, damit für jedes neue Verfahren schnell Geld da ist.

Beide haben sie ein ebenso einfaches wie geniales Konzept entwickelt: Eine Minibürgschaft in Form eines selbst gewählten Betrags ab 10 Euro, die in ein Klageverfahren gegen die Abschiebung einer Person investiert wird. 

Viele kleine Bürgschaften bewirken viel Gutes

Mit den gesammelten Beiträgen bezahlt Peperoncini die Anwält*in, diese reicht Klage ein, und die Bürg*innen bekommen regelmäßig und sobald sich vor dem Verwaltungsgericht etwas Neues tut eine Nachricht.

Ist der Prozess erfolgreich, fließt das Geld zurück an Peperoncini und wird in einen neuen Prozess gesteckt. Wird der Prozess verloren, „dann war es eine Spende für Rechtsstaatlichkeit“, sagt Stangherlin.

Jedes Mal, wenn sie eine Familie oder Person unterstützen wollen, schickt Peperoncini Aufrufe an die Leute, die bereits Interesse an einer Minibürgschaft bekundet haben, weil sie über Freunde, Facebook oder Solipartys von Peperoncini erfahren haben.

Die Resonanz war schon beim ersten Aufruf voriges Jahr sehr positiv. Nach einer Woche war genug für die erste Bürgschaft zusammen. „Da wussten wir: Das lässt sich umsetzen.“Die meisten spenden 10 oder 20 Euro. Das ist zu gering? Nein. Viele kleine Bürgschaften bewirken viel Gutes. „Das zeigt auch die Solidarisierung von vielen Leuten“, erklärt Stangherlin.

Rassismus ist in Deutschland in der Asylgesetzgebung verankert

Auch wenn ihre politischen Ideale nicht in einem komplizierten Namen zusammengefasst sind, haben sie genug davon: Sie fordern Zugang zur Rechtsstaatlichkeit für alle. „Dass ich gegen eine Behördenentscheidung klagen kann, unabhängig von Pass oder Geld“, erklärt Enders. Sichere Fluchtwege und rein registrative Asylverfahren und die Abschaffung von „sicheren“ Herkunftsstaaten.

Die Gesetzgebung habe sich im letzten Jahr drastisch verschärft, erzählen die beiden. Wenn man nicht in diesem Bereich arbeitet, bekäme man das nicht unbedingt mit. Man liest wohl darüber, dass Deutschland die Grenzen öffnet und über die großzügige Kanzlerin, empört sich Leonore Stangherlin, aber nicht darüber, „dass im Hinterzimmer ganz krasse Gesetze verabschiedet werden, die viele Leute von vornherein ausschließen“.

Die gebürtige Schweizerin ist vor drei Jahren nach Deutschland gezogen und findet, „dass Rassismus in Deutschland nicht bei brennenden Flüchtlingsheimen anfängt, sondern in der neuen asylrechtlichen Gesetzgebung verankert ist“. Dagegen möchten sie vorgehen. Auch deshalb hat Peperoncini keine Kriterien, nach denen sie Leute auswählen, die sie unterstützen. „Jede Person hat persönliche Gründe, Asyl zu bekommen, die auch immer anders sind.“

Meist erfahren sie über andere Initiativen von Fällen mit Abschiebeandrohung. Es gab aber auch schon Anfragen über Facebook. Wenn Geld auf dem Konto ist, startet Peperoncini einen Aufruf. Sie treffen sich mit der Person, um ihr Konzept zu erklären. Dann suchen sie Anwält*innen, die für diese Art von Klage oder für diese spezifische Herkunftsregion kompetent sind. 

Ein Fall aus vielen: Abgeschoben ohne den 13-jährigen Sohn

Diese schreiben die Klage und reichen sie dann bei Gericht ein, mit Antrag auf Eilrechtsschutz, um eine Abschiebung während des Gerichtsverfahrens zu verhindern. „Das ist nämlich auch nicht selbstverständlich“, sagt Katharina Enders.

Etwa die 500 bis 1.000 Euro kostet so ein Verfahren. Die meisten Leute, die sie bis jetzt unterstützt haben, klagen gegen negative Asylbescheide. Bei ihrem aktuellsten Fall aber handelt es sich zum ersten Mal um eine Strafanzeige.

Es geht um Frau D. aus Tschetschenien, die im April dieses Jahres mit ihrem 16-jährigen Sohn aus Grimma in den „sicheren“ Drittstaat Polen abgeschoben wurde. Ihr 13-jähriger Sohn war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause. Die Polizei ging nicht auf den Hinweis der Mutter ein und schob die Familie ohne den jüngsten Sohn ab.

Ein System aus lauter kleinen Schikanen

Peperoncini vermutet eine neue Behördenpraxis hinter diesem Fall. Beide Frauen wollen so schnell wie möglich gegen diese vorgehen. „Wir erhoffen uns, dass die Behörden im Landkreis Leipzig und in ganz Sachsen merken, dass das nicht geht“, erklärt Enders.

„Wir haben Angst, dass das ausprobiert und dann systematisiert wird, um Druck auf asylsuchende Familien auszuüben. Wir wollen zeigen, dass es schon bei einem der ersten Fälle, der uns zumindest bekannt ist, klaren Widerstand aus zivilgesellschaftlichen Gruppen gibt.“

Wichtig ist beiden, dass die Leute ihre Rechte vor Gericht verteidigen können, auch weil die Fälle zu Flüchtlingen sonst gar nicht dokumentiert werden würden. Enders, die vor drei Jahren von Nürnberg nach Leipzig gezogen ist, um hier zu studieren, hat den Eindruck, „dass so ein System aus lauter kleinen Schikanen besteht, darauf ausgelegt, Leute fertig zu machen“. Sie wollen Präzedenzfälle schaffen und durch diese die Verwaltungspraktiken ändern.

Ein wichtiger erster Schritt, der etwas verändern kann

Natürlich wissen sie, dass sie mit ihrer kleinen Initiative nicht das System schlechthin in Frage stellen können, aber sie sehen es als einen wichtigen ersten Schritt, dass Menschen Zugang zur rechtlichen Verteidigung haben und sich gegen rechtswidrige Entscheidungen wehren können.

Auch wenn die Verfahren, die sie unterstützen, negativ ausfallen, erklärt Enders, müssen sich die Behörden abermals mit ihnen befassen. „Wir hoffen, dass dadurch eine stärkere Überwachung der staatlichen Handlungen stattfindet“.

Über Nachahmer oder Schwesterinitiativen in ganz Europa würden sie sich freuen. Aber auch diese sollten versuchen, klein und flexibel zu bleiben. Momentan sucht Peperoncini zwar noch nach weiteren Mitarbeiter*innen, aber richtig groß wollen sie nicht werden. „Unser Ziel ist nicht, unheimlich groß zu werden, sondern uns zu verbreiten“, erklärt Stangherlin. 

Sie wollen auf keinen Fall zu einer zweiten Behörde werden und die Leute, die sie unterstützen, auch weiterhin persönlich treffen. Das ist eines ihrer Prinzipien: mit den Kläger*innen auf Augenhöhe zu arbeiten.

Keine Behörde, sondern persönlicher Kontakt auf Augenhöhe

Asylsuchende würden oft sehr passiv dargestellt, und tatsächlich kämen die meisten von ihnen aber mit Lebensumständen in Deutschland klar, von denen die beiden nicht wüssten, ob sie sie selbst durchstehen könnten.

Deshalb versuchen sie mit ihren Aufrufen, die Fehler der deutschen Behörden in den Vordergrund zu stellen und nicht die schlimme politische Lage in ihrem Heimatland. Peperoncini will zeigen, wie schlimm es hier ist, nachdem jemand es nach Deutschland geschafft hat.

Im Fall von Frau D. aus Tschetschenien hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen vor wenigen Tagen eingestellt. Begründung: Der beschuldigte Polizist handelte „gerechtfertigt […], wobei die Anordnung ausdrücklich eine mögliche Familientrennung vorsah“.

MAREIKE BARMEYER, ist promovierte Soziologin und taz.lab-Redakteurin. Außerdem ist sie Mitglied der Berliner Lesebühne Rakete 2000.