Leicht zu übersehen : Mittendrin, aber nicht dabei
Außerhalb Europas kaum bekannt, wird Liechtenstein höchstens als Steueroase wahrgenommen - ist aber eigentlich ganz fein.
taz.lab: Herr Hasler, was ist dieses Exotikum namens Liechtenstein - Teil Europas, eine Art Monaco in den Alpen?
Felix Hasler: Liechtenstein ist erst einmal ein historischer Anachronismus, ein letzter Rest „Rheinbund" von 1800. Entgegen dem Klischee des Märchenstaates in den Bergen kommt einem aber kein Prinz auf der Kutsche mehr entgegen. Liechtenstein ist längst ein ganz normaler moderner Staat mitten in Europa geworden, vergleichbar mit der Schweiz oder Österreich - nur eben viel kleiner. Und dass Liechtenstein ein durchaus bemerkenswerter Finanzplatz ist, davon haben Sie bestimmt auch schon gehört.
Fühlt es sich gut an, Liechtensteiner zu sein?
Mein Verhältnis zu meiner alten Heimat ist unaufgeregt. Ich bin dort schon vor bald 30 Jahren weggezogen. So gesehen: neutral (sich „selten" fühlen geht ja irgendwie nicht). Und auch etwas exotisch, weil an jeder Party gleich eine angeregte Diskussion beginnt, sobald man sich als Liechtensteiner outet.
Wie ist das, wenn Sie nach längerer Zeit mal wieder in Liechtenstein sind?
Das ist schon ein harter Kontrast zum Leben hier in der Grossstadt. Manchmal komme ich mir dann auch als Zuschauer in einer unfreiwilligen Realsatire vor.
Wie das?
Auch die Liechtensteinischen Verkehrsbetriebe haben zum Beispiel einen Modernisierungsschub erlebt. Seither gibt es in den Bussen Infolaufleisten mit „breaking news". Als ich vor einiger Zeit im Bus unterwegs war, hielt man diese drei Meldungen für berichtenswert. Erstens: Liechtenstein hatte in irgendeiner Sportart mal wieder 8:0 verloren ...
... wahrscheinlich im Fußball.
Gut möglich, ja. Weiter wurde von einem Autounfall auf einer Landstrasse berichtet, bei dem eine Frau verletzt und eine Kuh getötet wurde. Und das Dritte war, dass die USA mit härteren Sanktionen gegen die „Steueroase Liechtenstein" gedroht habe. Das ist Liechtenstein in Superkurzfassung.
Wie ist es, wenn Sie mit Ihrem Reisepass eine Grenze überqueren? Kennt man Ihr Land?
Ausserhalb Europas kennt kaum ein Zollbeamter Liechtenstein. Es ist immer das gleiche - ich kenne das Prozedere auswendig: Zuerst ein ungläubiger Blick. Hektisches Herumblättern in meinem blauen Pass mit Goldkrönchen. Dann die gefürchtete Frage: „What country?" Auf meine erfolglosen Erklärungsversuche hin wird in der Regel der Chef geholt.
Der weiß es aber auch nicht und holt den noch höheren Chef. Bis am Ende alle Beamten des Grenzpostens um mich herum stehen und beraten, ob ich wohl einreisen dürfe. Erstaunlicherweise durfte ich bislang noch immer. Einmal zu Zeiten der Militärdiktatur in Guatemala ist es allerdings richtig unangenehm geworden. Nur durch ein paar spontan im Pass vergessene Dollarnoten konnte ich vermeiden, eine Nacht in der Zelle des Grenzpostens zu verbringen.
Was ist für einen Liechtensteiner Europa?
Ich würde sagen: Ein imposantes Staatengebilde. Aufgrund der Grösse und Machtfülle vielleicht etwas beängstigend. Und Liechtenstein ist mitten drin und doch nicht richtig dabei. So wie damals bei der Fussball-EM 2008 in der Schweiz und Österreich. Die hat auch nur rechts und links von uns statt gefunden.
Ist es nicht kränkend, dass Länder wie Liechtenstein gern übersehen werden?
Das ist das Dilemma von Kleinstaaten - wenn sie nicht gerade so glamourös sind wie Monaco. Man wird bisweilen nicht Ernst genommen. Aber wie sollte es anders sein bei einer Einwohnerzahl von knapp 35.000
Weniger als auf den Färöern wohnen oder in Kreuzkölln in Berlin. Aber dort gibt es diese Finanzindustrie nicht, diesen materiellen Reichtum, diese Briefkastenfirmen. Kritiker sagen, Liechtenstein sei ein Hehlernatiönchen.
Und Deutschland eine Steuerhinterziehernation? Verallgemeinerungen sind problematisch. Aber dass Liechtenstein an den globalen Finanzflüssen lange Zeit gut verdient hat, ist nicht zu bestreiten.
Gibt es eigentlich eine alternative Szene in Liechtenstein?
Ansatzweise. Es gibt eine kleine, aber sehr aktive und latent subversive Kunstszene. Da wird schon mal eine Initiative zur Abschaffung der Monarchie gestartet. Aber keine radikalen oder gar gewalttätigen Aktionen. Das ist nicht der Stil der Liechtensteiner. Eher ein kleiner, feiner Stachel im Fleisch der gesetzten Bürgerlichkeit.
Liechtenstein als Teil EU?
Dies wäre gut, selbstverständlich.
Das Interview führte Jan Feddersen.
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