Diskussion über Gentrifizierung : Aus der Stadt gedrängt
Wie in vielen Städten steigen auch in Münster die Mieten. Die Konsequenz: Verdrängung. Welche Lösungen gibt es?
von JANN-LUCA ZINSER
Münster, bekannt für seinen Charme als historische Studentenstadt und 2004 sogar zur Stadt mit der höchsten Lebensqualität gewählt, hat ein Problem, das auch viele andere deutsche Großstädte betrifft: Die Mieten steigen rasant und – es gibt praktisch keinen Leerstand.
Preise von über 20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter im Zentrum der Stadt sind der vorläufige Höhepunkt eines eskalierenden Gentrifizierungsprozesses. Die meisten Familien können sich so etwas nicht leisten - von Studenten, Geflüchteten oder Sozialhilfeempfängern ganz zu schweigen. Sie werden verdrängt. Stück für Stück müssen Geringverdiener in Richtung Stadtgrenze ziehen, teilweise sogar darüber hinaus. taz.meinland war in Münster, um mit Vertretern von Initiativen, Vereinen, aus der Politik und vor allem mit den Bürger*innen darüber zu diskutieren.
Die Stadt fehlt am Tisch
Manfred Kehr, Mitorganisator, hätte gerne mit den Verantwortlichen der Stadt am Runden Tisch gesessen. Die entsprechenden Einladungen wurden aber weitestgehend ignoriert oder abgesagt. So entstand ein einigermaßen konsensuelles Gespräch, das aber ein sehr konstruktives Ende nahm.
Vor Jahren gab es in Münster noch 20.000 öffentlich geförderte Wohnungen, heute sind es noch etwa 7.000. Bürger*innen mit Wohnberechtigungsschein können nicht bedient werden, manch eine*r stellt wegen der Aussichtslosigkeit auf dem Wohnungsmarkt erst gar keinen Antrag. Rüdiger Sagel von der Linkspartei umreißt das Problem. Die Vorgaben für Neubauten in der Stadt würden seit Jahren massiv verfehlt, Investoren seien zu mächtig, als dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft beim Wettbieten um neue Grundstücke ernsthaft mitspielen könnte.
Aus dem Zuhause verdrängt
Das Schlimmste für Ulla Fahle vom Mieter-Schutzverein Münster ist die Art, wie Menschen aus ihren Wohnungen, ihrem Zuhause verdrängt werden. Häufig würden eigentlich nicht notwendige Modernisierungsarbeiten durchgeführt, um die Mieten erhöhen zu können. Das geschehe dann in solch einem Maße, dass die aktuelle Mieterschaft nicht mehr in der Lage sei, den finanziellen Mehraufwand zu stemmen.
Die Investoren wissen genau was sie wollen: Mit jedem Projekt soll ein bestimmtes Klientel angesprochen werden. So gibt es in Münster die Gegend Kinderhaus, eine der weniger attraktiven Stadtteile. Dort wird modernisiert - die Bewohner, hauptsächlich Migranten, können dann nicht bleiben. Stattdessen startet der Investor BGP eine neues Projekt: Campusglück. Das klingt schön. Doch damit sollen vor allem besser situierte Studierende, sei es wegen vermögender Eltern oder Abrackern im Nebenjob, gelockt werden.
Die letzten Besetzter
Man kann sich aber auch der Modernisierung und steigenden Mietkosten verwehren. Bernd Drücke wohnt seit über 26 Jahren in der Münsteraner Altstadt, die älteste Arbeitersiedlung der Stadt. Er ist seit vielen Jahren verantwortlicher Redakteur der Graswurzelrevolution, die dieser Tage ihren 45. Geburtstag feiert. 1991 machte Bernd Drücke es sich bequem in einem heruntergekommenen Haus aus dem Jahr 1880. Bequem soll hier nicht heißen, dass er einen Mietvertrag oder dergleichen unterschrieb. Ganz im Gegenteil: Er und andere haben das Haus besetzt.
Irgendwann verlangten sie einen Mietvertrag, bekamen aber nur etwas für drei Monate, danach wollte man das Haus abreißen. Nach Ablauf des Vertrags wollte der Vermieter die Besetzer dann „rausklagen“, wie Drücke sagt. „Die zuständige Wohnbau GmbH behauptete in den Medien, das Haus wäre ein Schandfleck und solche Geschichten. Aber der Richter fand uns sympathischer.“ Er lacht. Es gab damals wohl auch Brandanschläge, in der Szene nannte man solche Versuche „heiße Sanierung“. Die Besetzer seien dann irgendwann, nachdem sie Rückendeckung von der damaligen rot-grünen Landesregierung hatten, für anderthalb Jahre ausgezogen und hätten an den Wochenenden das Haus saniert.
Konkurrenz um staatliche Hilfeleistungen
Mit der heutigen Politikkonstellation, gerade mit dem neuen Landtag in Nordrhein-Westfalen, sieht der Anarcho-Veteran die Chancen für das Gelingen eines solchen Vorhabens wesentlich geringer. Die Polizei greift ganz anders durch, man schaue sich nur die Bilder der Räumung des Kiezladens in der Friedelstraße 54 an. Von einem positiven Fall weiß Bernd Drücke aber zu erzählen: Ein geräumtes Haus ging zuletzt wenigstens an Flüchtlinge. Ein Erfolg, wie er findet.
Für Wohnraum für Flüchtlinge und gegen Abschiebungen setzt sich auch Florian Tenk ein. Er engagiert sich im „Bündnis gegen Abschiebungen“. Tenk beklagt die enorme Konkurrenzsituation zwischen Geflüchteten, Studenten und Empfängern staatlicher Hilfeleistungen.
„Die Flüchtlinge nehmen mir meine Wohnung weg!“
Laut Theresa Neunes von der Caritas führt das auch zu Ausländerfeindlichkeit bei letzteren - sie macht die Wohnungsnot für den Aufschwung der AfD mitverantwortlich: „Manch einer sagt dann zu mir: ‚Die Flüchtlinge nehmen mir meine Wohnung weg‘. Natürlich versuche ich, dagegen zu wirken, das ist ab einem gewissen Punkt aber auch schwierig.“
Ein Gast, der die Frustration durchaus verstehen kann, ist genervt von dem ständigen Beklagen und der Untätigkeit. Er habe immer wieder im Rahmen verschiedener Wohnprojekte gemeinsam mit anderen versucht, ein Grundstück zu erwerben, doch die Investoren seien stets mit von der Partie gewesen und hätten sich irgendwann nur noch gegenseitig überboten. Für Privatpersonen gab es schlicht keine Chance. Er aber will sich das nicht länger gefallen lassen, will sich nicht länger beklagen. Er ruft die ganze Runde auf, gemeinsam eine Initiative zu starten.
Moderator Volkan Agar und Linkspolitiker Rüdiger Sagel fordern eine neue Gegenöffentlichkeit und die Gäste des Abends auf, sich direkt auszutauschen und einen ersten Termin für ein Treffen zu vereinbaren. Viele wirken, als hätten sie genau darauf gewartet. Es bleibt spannend in Münster, und taz.meinland hofft, eine Bewegung ins Rollen gebracht zu haben. Wir bleiben dran!