Den Ton ins Stumme gebracht : Klingende Nische
Der Bremer Musiker Ezzat Nashashibi unterlegt Stummfilme wie die von Charlie Chaplin mit Geräuschen. Und manchmal gelingt es ihm, die Bilder auf der Leinwand mit seiner Musik zu entlarven
BREMEN taz | Das Kino wird zunehmend digital. Aber es gibt Nischen, wie die Vorführungen von Stummfilmen. Diese Filme werden zwar oft von der Festplatte oder einer Blu-Ray-Disk projiziert, aber meist mit einer live gespielten Begleitmusik veredelt. Dadurch wird jede Vorführung zu einem Unikat, denn so kommen Bilder und Töne nie wieder zusammen. Im Bremer Kommunalkino City 46 gibt es monatlich solche Begegnungen von alter Filmkunst und neuer Musik.
Mit einigen Ausreißern nach unten – wie sowjetischen Avantgardefilmen – sind diese Abende sehr gut besucht. Dafür ist auch der Hauspianist Ezzat Nashashibi verantwortlich, der seit etwa 20 Jahren auf dem Klavier und mit allerhand Geräusch erzeugenden Dingen zu den Filmen auf der Leinwand improvisiert.
Seine Begleitmusik entsteht spontan, in einem direkten Austausch mit den Bildern. Und natürlich greift der Pianist auch auf altbekannte Zitate zurück. So war es fast zwingend, dass Nashashibi vor ein paar Wochen bei der Vorführung von Buster Keatons „7 Chances“ zu einer Szene, bei der Hunderte Frauen in Brautkleidern vom Helden fordern, dass er sie gefälligst heiraten solle, den Hochzeitsmarsch von Felix Mendelssohn Bartholdy spielte. Doch der Großteil der Musik entsteht neu.
Der Sohn eines Palästinensers ist in Deutschland aufgewachsen, aber die Stile und Spielformen der arabischen Musik sind ihm vertraut. Seine Stücke hören sich aber nicht im Entferntesten folkloristisch an. Nashashibi ist hauptberuflich Komponist und Lehrbeauftragter für Neue Musik an der Uni Bremen. Aber den freien Umgang mit den Klängen und das schnelle Einstellen auf neue Situationen hat er schon als Kind gelernt.
Noch extremer als bei den Stummfilmbegleitungen, wo er immerhin die Filme schon vorher gesehen hat und ein grobes Raster von Leitmotiven als Sicherheitsnetz vorbereiten kann, ist er als Musiker bei Vorführungen des Impro-Theaters oder der Super-Acht-Abende des Bremer Filmbüros ganz darauf angewiesen, schnell auf Unerwartetes zu reagieren.
Für diese Wundertüten-Veranstaltungen dreht eine Reihe von Künstlern und Amateuren Filme auf Super-Acht-Filmkassetten, die von den Veranstaltern zum Entwickeln versendet werden. Erst bei der Vorführung sehen Macher, Publikum und Musiker die Werke zum ersten Mal. Sie können sich also auf nichts einstellen. Erschwerend hinzu kommt, dass die Belichtung der Filme ziemlich knifflig ist und die Musiker oft drei Minuten weiße oder schwarze Leinwand vertonen müssen. Für Nashashibi ist dieses „Zulassen und trotzdem Gestalten“ ein Grundprinzip seiner Arbeit.
Besonders wichtig seien Geräusche bei Slapstickfilmen, sagt er. Denn sie verstärkten den komischen Effekt beträchtlich. Nashashibi hat darum immer eine ganze Reihe von kuriosen Dingen mit auf der Bühne.
Es macht den Reiz seiner Vorführungen aus, dass man sieht, wie er mit Pfeifen, Sirenen, einer Kuhglocke, einem Wassereimer oder einer Kiste voller Scherben synchron zum Geschehen auf der Leinwand Klänge erzeugt. Dieses sogenannte Mickey-Mousing bietet auch die Gelegenheit für Ironisierung und Überzeichnung. Stößt sich jemand den Kopf und Nashashibi vertont das mit dem Klang von Holz, wird aus der Filmfigur ein Holzkopf.
Aber für ihn geht der Einsatz von Alltagsklängen tiefer, denn eines der Konzepte der Neuen Musik ist die Aufhebung der Grenzen zwischen Musik und Geräusch. Manchmal entlarvt er den Film mit seiner Musik. So unterlegte er etwa die rassistischen Ku-Klux-Klan-Szenen in „Birth of a Nation“ von DW Griffith mit einem düster-bedrohlichen Wabern auf dem Klavier, das deren Heroisierung unterminierte.