: Mal offen, mal verrammelt
TOR ZUR WELT An diesem Schlagwort lässt sich Hamburgs Fixierung auf den Hafen ermessen. Der Historiker Lars Amenda hat die zentrale Metapher des Stadtmarketings durchleuchtet
Hamburg ist keine Kulturstadt. Hamburg ist – eine Bühnenstadt. Die Bühne: das ist die Elbe, der träge Fluss, auf dem sich täglich das Schauspiel der Ferne und Wiederkehr, der Ankunft und Abfahrt vollzieht, verfolgt von den aalglatten Hanseaten in den Logen der Geesthang-Villen wie von den Hamburg-meine-Perle-Prolls auf den billigen Plätzen im Parkett, sprich: den Elbstränden. So war es schon immer. Das Ergebnis dieser kollektiven Fixierung auf den Fluss, auf den Warenfluss und den Warenaustausch statt des Gedankenflusses und Gedankenaustausches: Hamburg hat keine Weltliteratur, Hamburg hat einen „Welthafen“ hervorgebracht.
Vom „Welthafen“ sprach man in Hamburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und wenn dieses Schlagwort heute nicht mehr im Umlauf ist, liegt das wohl daran, dass später ein anderes aus ihm hervorgegangen ist: „Tor zur Welt“. So heißt jetzt auch ein Buch von Lars Amenda und Sonja Grünen, in dem die beiden Historiker analysieren, wie im 20. Jahrhundert Politik, Wirtschaft und Werbung versuchten, Hamburg mit einem spezifischen Stadtimage zur Geltung zu bringen. Und wie sich dieses Image den wechselnden historischen Großwetterlagen anzupassen vermochte.
Gebräuchlich wurde das Schlagwort, wie Amenda zeigt, im Ersten Weltkrieg, als der Handel darbte. Das kann als schönes Beispiel dienen, wie eine Sache erst dann begriffen wird, wenn sie verloren geht – und das Ohr fürs Echo der Geschichte schärfen: Der Krieg schlug das Tor zu. Der Friede wird kommen und soll es öffnen für alle Ewigkeit, hofften die Kaufmänner 1914. Heute heißt der Krieg Krise, der Friede Aufschwung.
Dass der Slogan Kriegs- und Krisengewinnler ist, zeigte sich bereits 1929. Das Jahr des Wirtschaftszusammenbruchs markierte die endgültige Etablierung des Slogans, aus den Hamburger Stadtführern ist er seither nicht mehr wegzudenken. Er dominiert das Hamburg-Bild so sehr, dass es manchem zu viel wird. Die Tor-zur-Welt-Rhetorik sei ein „Propaganda-Superlativ“, sein marktschreierischer Gestus ganz und gar unhanseatisch, notierte bereits 1930 der Journalist Hans Harbeck.
Den Erfolg des Schlagworts erklärt sich Amenda durch dessen Offenheit. Die Schifffahrt, die Erinnerung an Kolonien, die Auswanderung in die Neue Welt, die Anglophilie der oberen 10.000 oder die Seeleute-Schwemme auf St. Pauli: Für jedes Ohr klang im „Tor zur Welt“ anderes an. Im Nationalsozialismus kam ein weiterer Klang hinzu. Für Hitler war Hamburg „das deutsche Tor zur Welt“, als „Führerstadt“ sollte Hamburg mit Monumentalbauten entlang der Elbe als internationale Visitenkarte fürs moderne Nazideutschland fungieren. In der Nachkriegszeit war das „Tor zur Welt“ dann eine Weile „verrammelt“. Erst Mitte der 50er Jahre hieß es in einer offiziellen Publikation: „Hamburgs Hafen – wieder Tor zur Welt.“
Auf und zu, bis zum Abwinken: Das Bild vom Tor zur Welt impliziert, dass es ab und an ins Schloss fällt. MAXIMILIAN PROBST