Andy Gheorghiu : Den Anfängen wehren
Andy Gheorghiu und viele andere engagieren sich mit Wissen und Leidenschaft gegen das Fracking – weil die Behörden versagen.
Andy Gheorghiu beißt in ein Blatt. „Lecker Giersch“, sagt er und hebt das nächste vom Boden auf. Die meisten würden die Pflanze als Unkraut bezeichnen, sie wächst wild in Gärten oder im Wald. Gheorghiu isst sie manchmal, wenn er dort mit seiner Hündin Alba spazieren geht. Fürs Wandern hat er seit Kurzem mehr Zeit, denn Gheorghiu hat gekündigt. Bis Ende März war er fast 20 Jahre lang im öffentlichen Dienst angestellt. Doch den sicheren Bürojob bei der hessischen Stadt Korbach gab er auf, um sich nur noch seiner „zweiten Arbeit“ zu widmen: dem Engagement gegen das Fracking.
Fracking ist eine Technik, um Erdgas, das in Gestein wie Schiefer eingeschlossen ist, zu fördern. Um das Gestein aufzubrechen, wird ein Gemisch aus Wasser, Sand, Säuren und Chemikalien unter großem Druck bis zu 5.000 Meter tief in den Boden gepumpt. Doch das Verfahren ist umstritten. Die teils hochgiftigen Chemikalien können ins Trinkwasser gelangen. „In den Präsentationen der Frackingunternehmen liegt Schiefer unter dem Boden immer in schönen gerade Schichten“, sagt Andy Gheorghiu. „Doch das stimmt so nicht überall“, jede Probebohrung könne nur für sich stehen. Ein paar Meter weiter könnte es schon Wölbungen oder Hohlräume des Gesteins im Boden geben. „Das macht die Technik unbeherrschbar“, sagt er.
Auch in Nordhessen sollte mit Fracking Schiefergas gesucht und gefördert werden. Als Mitglied der Initiativen „Lebenswertes Korbach“ und „Fracking freies Hessen“ mobilisierte Gheorghiu zusammen mit anderen gegen das Feld „Adler-South“. Mit Erfolg: Die betroffenen Kommunen protestierten gegen den Antrag des Frackingunternehmens. Aufgrund des Drucks stellte vergangenen Sommer die zuständige Bergbehörde beim Regierungspräsidium Darmstadt fest: Die öffentlichen Interessen im Gebiet „Adler-South“ überwiegen.
Tourismus bringt sehr viel Geld in die Gegend
Überwiegende öffentliche Interessen bedeutet, dass ein Großteil der Fläche bereits durch Gewässerschutz, Natur- oder Landschaftsschutz belegt ist. In dem Gebiet, das rund zweimal so groß ist wie das Saarland, liegen mehrere Seen, Heilbäder und Naturschutzgebiete sowie zwei Unesco-Weltkulturerbe-Stätten. Am Edersee etwa wird deutlich, dass das Gestein keineswegs so waagerecht unter der Erdoberfläche liegt, wie die Frackingunternehmen es gerne darstellen. Mit seiner Hündin sitzt Andy Gheorghiu auf einem der rostig glänzenden Schieferhügel, die spitz aus dem Boden steigen, am Wasser.
„Im Jahr macht die Tourismusbranche in Nordhessen rund eine Milliarde Euro Umsatz“, sagt der 39-Jährige. Fracking könnte nicht nur das Trinkwasser vergiften, vielmehr erhöhe eine Bohrerlaubnis auch die Industrialisierung der Gegend und damit auch das Verkehrsaufkommen. Das würde die Touristikbranche stören, so Gheorghiu, auch wenn es irgendwann Frackingmethoden ohne Chemikalien gebe. „Wirtschaftlichkeit kann aus der Natur gewonnen werden, ohne sie zu zerstören.“
Begonnen hat Andy Gheorghiu sein Engagement gegen Fracking vor zwei Jahren, als er für die regionale Umweltzeitschrift "Naturverbunden" eine Sonderausgabe zum Thema mit plante. Zu dieser Zeit veranstaltete das noch schwarz-gelb geführte Umweltministerium Hessens Infoveranstaltungen zum Thema. Man ließ durchsickern, „Adler-South“ genehmigen zu wollen. Durch seine Recherchen kam Gheorghiu mit Bürgerinitiativen gegen das Fracking in Kontakt. Inzwischen war er mehrmals im Fernsehen und wird von überregionalen Zeitungen für Interviews angefragt: Er ist ein gefragter Mann.
Neue Gefahr durch Freihandelsabkommen
Die Arbeit gegen Fracking wurde so viel, dass er seinen Job kündigte. Nun sei er nicht arbeitslos, erzählt er, aber unbezahlt. Er hat sich in die Rechtslage zum Thema eingearbeitet: „Viele Menschen wissen nicht, was wir teilweise für super Gesetze haben, die es möglich machen, sich gegen Vorhaben wie Adler-South zu wehren“, sagt Gheorghiu. Doch der Kampf gegen das Fracking ist auch für Nordhessen noch nicht beendet. Das kanadische Frackingunternehmen klagt wegen der Entscheidung gegen „Adler-South“, eröffnet ist das juristische Verfahren noch nicht.
Doch es gibt eine andere Gefahr: Wenn bald das Ceta-Abkommen, das Transatlantische Freihandelsabkommen mit Kanada, beschlossen wird, muss das Unternehmen sich nicht mehr durch alle deutschen Instanzen klagen. Dann könnte es vor das internationales Schiedsgericht ICSID ziehen und die Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz verklagen. Die Entscheidung, ob Investorrechte missachtet wurden, fällt dann nicht einmal mehr in Europa, sondern hinter verschlossenen Türen in Washington.
Aktuell klagt dort Vattenfall wegen der Energiewendegesetze auf eine Entschädigung von rund 4 Milliarden Euro. „Das Gleiche gilt für die Abkommen TTIP oder Tisa, nur ist das Ceta in seinen Verhandlungen viel weiter fortgeschritten“, sagt Gheorghiu. Wenn einmal die Aufsuchungslizenz erteilt worden ist, ist es schwierig, später die Förderung zu verhindern. Juristisch ist schwer zu begründen, warum man Fracking nicht erlauben will, aber Probebohrungen für zulässig hält. „Wir versuchen hier, den Anfängen zu wehren“, sagt Gheorghiu.
"Einfache Wahrheiten gibt es genug"
Wenn Gheorghiu die rechtlichen Aspekte erklärt, verfällt er in vortragsartige Monologe, bei den sich die Fachtermini nur so aneinanderreihen. „Ich möchte keine einfachen Wahrheiten, davon gibt es schon genug in der Welt.“ Es fällt ihm schwer, sich kurz zu fassen. Die „andere Seite“ könnte ihm Populismus verwerfen, wenn er verkürzt – und das will er nicht. Momentan sucht er eine Stelle, bei der er seine Fracking-Fachkenntnis einbringen kann. Momentan lebt er von Arbeitslosengeld und Erspartem.
„Viele glauben, dass Aktivist sein bedeutet, nur auf Demos zu gehen oder Aktionen zu machen“, sagt Andy Gheorghiu. „Doch Aktivist sein bedeutet auch, echte Arbeit zu machen.“ Er selbst sei in nur zwei Jahren zum Experten geworden, hat sich das Wissen angelesen. „Die Arbeit, die wir machen, ist im öffentlichen Interesse“. Wir – das sind er und die vielen anderen Frackingaktivisten. Die Arbeit, die diese AktivistInnen leisten, müsste eigentlich von gut bezahlten Behördenvertretern gemacht werden, sagt er. Tun sie aber nicht. Deshalb werden Menschen aktiv – wie Andy Gheorghiu.
Svenja Bednarczyk