: Online-Schnüffeln ohne Freibrief?
Schilys Ex-Staatssekretär Lutz Diwell sagt, er habe dem Verfassungsschutz die Online-Durchsuchung von Festplatten gar nicht erlauben wollen. Der Geheimdienst schweigt
FREIBURG taz ■ Eigentlich war alles gar nicht so gemeint, sagt Staatssekretär Lutz Diwell (SPD), eine Schlüsselfigur des jüngsten deutschen Geheimdienstskandals. Diwell hat im Sommer 2005 als Innenstaatssekretär die Dienstvorschrift unterzeichnet, die dem Verfassungsschutz den Zugriff auf private Festplatten erlaubte. Er habe dabei aber geglaubt, dass es nur um die Beobachtung geschlossener Internet-Foren gehe. Dass der Verfassungsschutz auf dieser Grundlage auch den Inhalt privater Computer ausspähen könnte, sei ihm überhaupt nicht bewusst gewesen, erklärte er jetzt über seine Sprecherin der taz.
Diwell ist seit Ende 2005 Staatssekretär von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Nach seiner Darstellung wandte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz damals an das Innenministerium und regte eine Erweiterung der Dienstvorschrift über die zulässigen nachrichtendienstlichen Mittel an. Dabei sei es um die „offensive Beobachtung des Internets“ gegangen. Der Verfassungsschutz habe in geschlossene Nutzergruppen und Chatrooms eindringen wollen, um vor allem Diskussionen der islamistischen Szene verfolgen zu können. Der Zugriff auf einzelne Computer habe dabei höchstens mit Blick auf Server, die Chaträume verwalten, eine Rolle gespielt. Einen allgemeinen Zugang zu den Inhalten auf privaten Festplatten habe das Bundesamt damals nicht angesprochen und habe er auch nicht „im Kopf gehabt“, sagte seine Sprecherin.
Diwell holte damals die Zustimmung von Innenminister Otto Schily (SPD) zur Änderung der Dienstvorschrift ein und schickte im Juni 2005 die veränderte Dienstvorschrift an das Bundesamt für Verfassungsschutz. Einen Monat später, im Juli 2005, sei das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestags schriftlich über die Änderung der Dienstvorschrift unterrichtet worden. Diwell bot darin auch an, dass Heinz Fromm, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, den Abgeordneten weitere Auskünfte über die Internet-Beobachtung geben könne. Dieser Ablauf passt dazu, dass PKG-Mitglieder wie der Grüne Christian Ströbele sich nicht erinnern können, über den Festplatten-Zugriff des Verfassungsschutzes informiert worden zu sein.
Hat der Geheimdienst eigenmächtig mehr getan, als ihm das Innenministerium erlaubte? Der Verfassungsschutz wollte gestern auf taz-Anfrage nicht erläutern, welche Befugnisse er konkret gegenüber dem Innenministerium angefordert hat und wann er mit dem Zugriff auf private Festplatten begann. Dies unterliege der Geheimhaltung, hieß es zur Begründung. Auch der konkrete Wortlaut der geänderten Dienstvorschrift ist noch unbekannt. Das Innenministerium beruft sich ebenfalls auf Geheimhaltungspflichten.
Möglicherweise hat Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erst im Februar dieses Jahres von den Praktiken des Verfassungsschutzes erfahren. Als er im taz-Interview damals gefragt wurde, ob auch der Verfassungsschutz Online-Durchsuchungen durchführe, sagte er spontan „Nein“, wies dann aber seinen Pressesprecher an „Prüfen Sie das nach“. In der autorisierten Fassung des Interviews ließ sein Pressesprecher die Verneinung dann streichen und durch folgende Formulierung ersetzen: „Zu operativen Fragen nehme ich nur im Parlamentarischen Kontrollgremium Stellung.“
Dass der Verfassungsschutz Zugriff auf private Festplatten nimmt, erfuhr dann – noch vor dem Kontrollgremium – der Abgeordnete Dieter Wiefelspütz. Der innenpolitische Sprecher der SPD hatte im Februar – gleich nachdem der Bundesgerichtshof der Polizei diese Praxis vorerst verbot – um ein Fachgespräch mit dem Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), gebeten und im März auch umfassende Informationen erhalten.
Im PKG stand das Thema Online-Durchsuchung durch den Verfassungsschutz im März auf der Tagesordnung. Damals wurde darüber aber aus Zeitgründen nicht gesprochen. „Wir wussten ja nicht, dass das Innenministerium uns über bereits durchgeführte Online-Durchsuchungen unterrichten wollte“, sagte PKG-Chef Max Stadler (FDP) zur taz. Er sei davon ausgegangen, dass nur über mögliche Rechtsgrundlagen diskutiert werde. Der im März ausgefallene Bericht wurde letzte Woche nachgeholt – und ist natürlich geheim. Laut Innenministerium hat der Verfassungsschutz von den neuen Befugnissen in „deutlich weniger als einem Dutzend“ Fällen Gebrauch gemacht. CHRISTIAN RATH
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