: Attraktiv und den Preis wert
KUNSTFÖRDERUNG Mit Kulturstaatssekretär André Schmitz auf einer Busfahrt durch die Stadt – zu den sieben Projekträumen, die der Berliner Senat für ihre künstlerische Arbeit ausgezeichnet hat
VON MARCUS WOELLER
Im Projektraum OKK an der Prinzenallee in Wedding steht ein junger Mann mit einem Baby vor der Brust am Bügelbrett. Es riecht angebrannt. Genauer gesagt, riecht es nach karamellisiertem Milchzucker, weil der Mann gerade einen Bogen Papier bügelt, auf dem unter der Hitze des Plätteisens eine Art Geheimtinte sichtbar wird: Zeichnungen aus Muttermilch.
Die Performance ist Teil eines Projekts der Künstlerin Lisa Gauer, die zur „Unsichtbarkeit von Frauenmilch als Material und Darstellung in der Kunst“ forscht. Und das Bügeln bildete am Mittwoch den Auftakt einer Bustour zu sieben Projekträumen, die der Senat für ihre kreative Arbeit im Jahr 2012 ausgezeichnet hat. OKK besteht seit 2007 als Plattform an der Schnittstelle von Kunst, Kritik und Aktivismus – und ist nun einer der Preisträger.
Zu der Rundfahrt hat André Schmitz, Berliner Staatssekretär für Kultur, Initiatoren von Projekträumen, Leiter verschiedener Kultureinrichtungen, Journalisten und einige Abgeordnete eingeladen. Die Gastgeberrolle macht ihm sichtlich Spaß, schließlich hat er Geld zu verteilen. Insgesamt 210.000 Euro hat die Berliner Kulturverwaltung locker gemacht, um erstmalig interdisziplinäre und selbstorganisierte Projekträume im Bereich bildender Kunst zu prämieren.
Sieben preiswürdig
Mehr als 150 Projekträume gibt es in Berlin. 93 haben sich um die Förderung beworben. Eine Jury – Stéphane Bauer vom Kunstraum Kreuzberg, Tatjana Fell von arttransponder und Katrin Bettina Müller von der taz – hat sieben als preiswürdig ausgewählt. Vor allem die Vielgestaltigkeit der Projekträume bildet sich in dieser Auswahl ab. Vom Künstlerkollektiv über das Kiezprojekt bis zum wissenschaftlich orientierten Kunstverein, vom Projektraum ohne Raum (berlinerpool) bis zum ironisch dekonstruktiven Multifunktionsklub (WestGermany) ist alles dabei.
Ein paar Schritte entfernt vom OKK wartet bereits die Kunsthistorikerin Regine Rapp, Gründerin von Art Laboratory Berlin. Ihr Projektraum steht für eine Verzahnung von Kunst und Wissenschaft. Damit ist sie schon seit einigen Jahren erfolgreich an der künstlerischen Erschließung des Wedding beteiligt. Wie ihr Nachbar OKK ist sie Mieterin der Wohnungsbaugesellschaft Degewo, die Ladenlokale zu günstigen Konditionen überlässt. Auch in der Hoffnung, den verrufenen Soldiner Kiez etwas aufzuwerten.
Die Immobilien von Prenzlauer Berg sind dagegen mittlerweile derart aufgewertet, dass sich nichtkommerzielle Projekträume kaum mehr halten können. Auch General Public, ein Kollektiv von zurzeit elf Künstlern und Kuratoren, kämpft gegen die Verdrängung von der Schönhauser Allee. Heimo Lattner nutzt die Verleihung des Preises, um auf die kritische Situation aufmerksam zu machen. „Das System Berlin beruht auf Selbstausbeutung“, sagt der General-Public-Mann und fordert, den Begriff von kreativer Arbeit zu hinterfragen. Im Umfeld der Projekträume sei in den letzten Jahren eine völlig neue künstlerische Praxis entstanden, die sich auf Recherche, Produktion und Vermittlung gleichermaßen gründe. Mit diesem sozialen und kulturellen Kapital der Stadt müsse verantwortlich umgegangen werden, damit Berlin seine internationale Anziehungskraft nicht wieder verliere.
Nina Pohl steht mit ihrem Schinkel Pavillon dagegen dem ökonomischen Kapital näher. Die Künstlerin betreibt den Kunstverein hinter dem Kronprinzenpalais in Mitte seit drei Jahren und arbeitet auch mit kommerziellen Galerien zusammen. In die Reihe der zum Teil unter prekären Bedingungen leidenden Projekträume scheint sie deshalb nicht so recht zu passen. Doch die Fähigkeit des Schinkel Pavillons, besonders zu Vernissagen ein großes Publikum anzuziehen, war der Jury die Auszeichnung wert.
Noch Luft nach oben
Eine Karte des Netzwerks freier Berliner Projekträume illustriert, dass sich neben Wedding besonders in Neukölln ein Cluster gebildet hat. So stoppt der Bus das nächste Mal am Richardplatz. Hier, mitten im „Böhmischen Dorf“, wie Bonaventure Ndikung, der Leiter von Savvy Contemporary, erklärt, lassen sich mehr als 250 Jahre Migrationsgeschichte erfahren. Sein Ziel sei es deshalb, gerade hier einen Dialog zwischen westlicher Kunst und Kunst aus Afrika, Asien und Südamerika in Gang zu setzen.
Das Bekenntnis der Kulturverwaltung, von nun an jährlich Projekträume in all ihrer Heterogenität auszuzeichnen, ist zu begrüßen. André Schmitz sieht sogar im Blick auf die Förderungssumme noch „Luft nach oben“. Doch streiten kann man über Förderungsart und -ziele. Sollen Leuchttürme unterstützt werden oder besser die Struktur? Ist die streng antikommerzielle Haltung vieler Projekträume realistisch oder führt sie zu einer Fördermentalität?
Der Appell von General Public geht jedenfalls in die richtige Richtung. Berlin muss die Diskussion um seine Attraktivität inhaltlich führen und sich bemühen, die Protagonisten, die mit Leidenschaft und Selbstaufgabe dazu beigetragen haben, die Stadt zu einer Kunstmetropole zu machen, auch hier zu halten.