: Kontemplatives Nichtstun
KÜNSTLERFÖRDERUNG Geld für ein halbes Jahr, so unterstützt der Berliner Senat Künstler – seit 30 Jahren. Dass das besser ist als jede Leistungsschau, zeigt die Abschlussausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst
VON TIM ACKERMANN
Auch Bürgermeister haben Träume. Klaus Wowereit auf jeden Fall. Für die Sommermonate kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus plant er eine prestigeträchtige „Leistungsschau“ von Berliner Künstlern, eine Bestandsaufname der Szene. Doch nun wollen Teile dieser Szene nichts für den Bürgermeister leisten, sondern fordern stattdessen in einem offenen Brief nachhaltige Verbesserungen der künstlerischen Produktionsbedingungen. Vertrackt.
Vielleicht hätte sich Wowereit bei den eigenen Mitarbeitern über nachhaltige Künstlerförderung informieren sollen. Im vergangenen Jahr feierte das Arbeitsstipendium der Senatsverwaltung für in Berlin lebende Künstler und Künstlerinnen seinen 30. Geburtstag. Seit 1980 sind schätzungsweise über 500 Stipendiaten in den Genuss der Zuwendungen gekommen, deren Gesamtsumme früher 30.000 Mark pro Jahr betrug und die sich heute auf 300.000 Euro beläuft. 2010 wurden 15 Künstler und Künstlerinnen bedacht, deren Kunst nun in einer Abschlussausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) mit dem Titel „Selected Artists“ zu sehen ist.
Ausgewählt wurden die Stipendiaten von einer fünfköpfigen Kuratoren- und Kritikerjury, womit schon klar sein dürfte, dass es auch hier um eine Form von Elitenbildung ging – allerdings nicht verbunden mit einem Leistungsgedanken. Das Stipendium ermögliche es vielmehr, so die NGBK-Chefin Leonie Baumann, zumindest für ein halbes Jahr ohne permanenten Verkaufsdruck arbeiten zu können. Die Künstler hätten die 12.000 Euro Staatsknete pro Kopf demnach genauso fürs kontemplative Nichtstun bekommen. Allerdings darf man sich über die angedeutete „Marktferne“ der Zuwendung nun auch wieder keine Illusionen machen: Ungefähr die Hälfte der gezeigten Künstler hat bereits einen kommerziellen Galeristen, und so dürften diese Künstler am Ende der Förderphase wieder geräuschlos ins Vermarktungssystem zurückgeglitten sein. Dass sich das Stipendium der Senatsverwaltung in den drei Jahrzehnten dennoch bewährt hat, zeigt wieder einmal die Abschlussausstellung, in der sich spannende Positionen entdecken lassen.
Stephanie Kloss und Egill Sæbjörnsson besetzen zwei extreme Positionen der Schau, die ohne verbindendes Thema auskommen muss. Kloss hat ein Familienhotel auf La Gomera fotografiert, in dem früher eine Kommune um den österreichischen Künstler Otto Muehl wohnte. Wer weiß, dass Muehl damals minderjährige Mädchen missbrauchte, den beschleicht bei Kloss’ Fotografien einer verlassenen Kinderrutsche und eines ausgetrockneten Planschbeckens ein mulmiges Gefühl.
Der emotionale Gegenspieler dazu ist die Videoinstallation „Five Boxes“ von Egill Sæbjörnsson. Der Künstler hat vier weiße Quader in einer Ecke des Raumes aufeinandergestapelt und projiziert auf deren Oberflächen vier virtuelle Pendants in exakt den gleichen Ausmaßen. Gelegentlich setzen sich die virtuellen Boxen in Bewegung, und es öffnet sich mal auch eine virtuelle Tür, eine virtuelle Banane schwebt aus der Box, dreht ein paar Runden und verschwindet dann wieder in einer anderen Kiste. Man könnte nun über das Verhältnis von Traum und Realität nachdenken. Wahrscheinlicher aber will Sæbjörnssons Kunst gar nicht mehr sein als sehr gelungene Unterhaltung.
Der Rest der Ausstellung verortet sich zwangsläufig dazwischen. Thomas Kilper, mit 54 Jahren der älteste der Stipendiaten, dokumentiert, wie er im vergangenen Jahr einen leer stehenden Sozialbau in Dänemark künstlerisch umarbeitete. Offenbar inspiriert von Gordon Matta-Clark oder Lawrence Weiner, riss er Dielen heraus, grub Löcher in Fußböden und schnitt Durchblicke in die Außenmauern. Aus dem so gewonnenen Material baute er pseudominimalistische Skulpturen. Auf einer konnte man Tischtennis spielen.
Ebenfalls am Anfang spielerisch, doch bald superböse wirkt das Video von Maja Bajevic. Das Gesicht einer Frau wird von einer muskulösen Männerhand auf ziemlich bedrohliche Art gestreichelt und gekniffen. Dazu bedrängt eine anonyme männliche Stimme die Frau immer wieder mit demselben Satz: „How do you want to be governed?“ Die vermeintliche Aufforderung zur gesellschaftlichen Debatte wird durch die Handlung ad absurdum geführt. Man hat eher das unangenehme Gefühl, einer Folterszene beizuwohnen.
Am konsequentesten unter allen Stipendiaten hat Ulf Aminde die Senatszuwendung genutzt. Die Collage „Mach doch was du willst“ aus Schwarz-Weiß-Fotografien zeigt, wie sich der Künstler mit dem Kaffeebecher in der Hand auf die Straße stellte, um Geld zusammenzuschnorren, das er dank der staatlichen Förderung eigentlich gar nicht brauchte. Mit diesem gewonnen Mehrwert, diesem „freien Kapital“, bezahlte er anschließend eine Prostituierte, damit sie für ihn singt. So versuchte Aminde innerhalb des knallharten Sexgewerbes einen utopischen Moment der Poesie zu erreichen. Einen Moment der Wahrheit. Und, ja, wenn man so will, auch: der Freundschaft.
■ „Selected Artists“: Bis 13. Februar. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Oranienstraße 25