: Den Alltag der Folter erzählen
KEIN THEATER In „Der deutsche Stuhl“ im Kreuzberger Theater Aufbau spielen acht Libanesen ihre Zeit in syrischen Gefängnissen nach
Ein Sternchen ziert den Titel des Theaterstücks „Der Deutsche Stuhl“. Weiter unten auf dem Programm heißt es in einer Fußnote als Erklärung: „Der Deutsche Stuhl ist eine Foltermethode, mit der dem Opfer die Wirbelsäule gebrochen werden kann.“ Acht Männer, die gefoltert wurden, sind nun mit einer Live-Performance im Heimatland des gefürchteten Stuhls zu Gast. Die Libanesen wollen sich mit dem Theaterstück eine Stimme verleihen, die Opferrolle abstreifen und von ihrer grausamen Vergangenheit in syrischen Foltergefängnissen berichten. „Wir sind hier, um über unsere Folter zu erzählen“, sagt Ali Abou Dehn bescheiden. 13 Jahre Willkürhaft waren es bei ihm: fünf im Gefängnis von Palmyra, weitere acht in der Nähe von Damaskus, bevor er im Jahr 2000 im Rahmen einer Amnestie freikam und in den Libanon zurückkehrte. Die Wirbelsäule wurde ihm nicht gebrochen.
Wie ein Theaterstück fühlte sich, was am Mittwochabend im Kreuzberger Theater Aufbau zu sehen war, nicht an. Links auf der Bühne die Gemeinschaftszelle Nummer 21, rechts drei Einzelzellen. Kein Schauspiel, sondern Nachspiel: ein Vormittag in Palmyra. Keine eigentliche Handlung, sondern Folteralltag: beim Essen, beim Schlafen und einfach so zwischendurch. Mit Peitschen, Stöcken oder Fußtritten, bis zum Tod.
Mal wird der Gefangene in verrenkter Körperhaltung in einen Autoreifen gezwängt, Füße hoch, und auf die Fußsohlen geschlagen, bevor er blutend auf der Stelle marschieren muss. „Du Hurensohn!“, brüllt der Wächter immer wieder, immer lauter, immer eindringlicher. „Ich bin Herr über Leben und Tod!“ Mal müssen die Gefangenen auf den kursi almani, wie es im Arabischen heißt, auf den deutschen Stuhl. Der Metallstuhl, auf den der Gefangene geschnallt wird, um ihm die Wirbelsäule zu überdehnen, soll über die Stasi nach Syrien gekommen sein, andere Quellen berichten, dass geflohene Nazischergen die Foltermethode nach Syrien brachten.
Dass die Libanesen nach einer ersten Performance im Libanon nun in Berlin und in den nächsten Tagen in Stuttgart sowie auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg ihren Schrecken auf die Bühne bringen, hat jedoch nichts mit der Herkunft des Folterstuhls zu tun. Das Gastspiel ist Monika Borgmann zu verdanken. Die deutsche Filmemacherin und Projektleiterin der Performance lebt seit Jahren in Beirut. „Die Libanesen haben den Krieg überhaupt nicht aufgearbeitet“, sagt sie. Deshalb setzt sich Borgmann für die Vergangenheitsbewältigung im Libanon ein. Von 1975 bis 1990 suchte der Bürgerkrieg das kleine Land heim. Der große Nachbar Syrien griff ein und hielt den Libanon bis 2005 besetzt. Noch immer sollen Hunderte libanesische Gefangene aus dieser Zeit in syrischen Gefängnissen sitzen – oder längst in Massengräbern verscharrt sein.
Als Borgmann vor einigen Jahren in Beirut auf die Ex-Insassen traf, die sich lose in dem Verein „Former Lebanese Political Detainees in Syria“ zusammengeschlossen hatten, seien diese immer wieder aufgesprungen. Sie hätten Szenen nachgestellt, erzählt Borgmann, gestikuliert, um ihre grausame Vergangenheit zu verbildlichen. „Wenn ihr so fit seid und spielen wollt, machen wir eben eine Live-Performance“, habe sie gesagt. „Weil Worte nicht ausreichen, um diesen Schrecken zu beschreiben.“ Nach 45 Minuten Folter auf der Kreuzberger Bühne stehen die Schauspieler, die keine Schauspieler sind, vor dem Publikum und danken für das Interesse.
Eine Zuschauerin will von den ehemaligen Gefangenen wissen, warum sie denn eigentlich nach Syrien verschleppt worden seien. „Wir waren politische Gefangene“, antwortet Raymond Bouban, einer der acht. Politisch sei er allerdings nie gewesen, habe nur die falschen Kontakte gehabt. Dann sagt er höflich: „Was Sie gesehen haben, genau das ist wirklich passiert.“
Als würde ein Theaterautor die Idee für ein derart grausames Stück haben können.
JANNIS HAGMANN