: Hier ruht das französische Berlin
KULTUR Soldaten, Champagner, Theater: Im Centre Français im Wedding tobte das Leben – bis kurz nach dem Mauerfall. Jetzt soll wieder Leben in die Bude kommen. Es gibt da nur ein paar Probleme
■ 1961 bis 1992 war das CFB eines von drei französischen Kulturzentren in Berlin. Die Idee war, interkulturelle Begegnungsstätten für die Schutzmächte und die deutsche Bevölkerung zu schaffen.
■ Heute findet man im CFB ein Dreisternehotel, eine Brasserie und ein Büro, das im Auftrag der Senatsverwaltung Jugendaustauschreisen nach Paris organisiert und Praktika und Jobs in Frankreich vermittelt. Außerdem befindet sich hier die Zentralstelle des Schüleraustauschprogramms „Voltaire“, das in Kooperation mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, dem Pädagogischen Austauschdienst und dem französischen Bildungsministerium durchgeführt wird. Ab Sommer 2013 sollen wieder Theater und Konzerte stattfinden.
■ Der Miniatur-Eiffelturm vor dem CFB ist einer von dreien im Besitz von Brasserie-Betreiber William Capoen, der auch französische Kulissendörfer für Volksfeste baut.
VON ANNA KLÖPPER
Türkische Bäcker und Friseure, dazwischen Wettbüros. Ein orientalisches Brautmodengeschäft, noch mehr Wettbüros. Und dann plötzlich ein Eiffelturm. Etwa vier Meter hoch steht da eine stählerne Miniaturausgabe des Pariser Wahrzeichens vor der schmucklosen, kastenförmigen Fassade eines weiß-blauen 60er-Jahre-Baus.
Das Centre Français de Berlin. Zu Mauerzeiten war das Centre am nördlichen Ende der Müllerstraße in Wedding eines von drei Kulturzentrum der französischen Alliierten in der Stadt – neben dem Maison de France am Kurfürstendamm und dem 1984 eröffneten Centre Culturel Français im Ostteil der Stadt.
Mit den Alliierten aus der nahe gelegenen Julius-Leber-Kaserne zog 1992 allerdings auch nach und nach die Kultur aus dem Wedding ab: Heute ist das Zentrum ein Dreisternehotel, in dem unter anderem das Bundespresseamt seine Gäste unterbringt. Es gibt ein französisches Restaurant, das ungerührt Weinbergschnecken und Froschschenkel mitten im Problemkiez kredenzt und „Soirée Asterix“ – Wildschwein am Spieß. Und schließlich ist da noch ein Büro, das im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung Jugendaustauschreisen mit der Partnerstadt Paris organisiert. Vor allem aber ist das Haus hinter dem Eiffelturm eine Zeitmaschine.
Gute Seele des Hauses
Zwei Männer, einer jung, einer nicht mehr ganz so jung, entführen in die Vergangenheit. Florian Fangmann, der junge, leitet als Geschäftsführer auch das Austauschbüro. William Capoen führte von 1981 bis 1992 das Centre, heute ist er der Pächter der Brasserie und des Hotels. Eigentlich, sagt Fangmann, sei Capoen vor allem die gute Seele des Hauses. Capoen sagt, er sei froh, dass Florian gekommen ist. Er soll die Kultur zurückbringen ins Kulturzentrum, in ihn setzt er seine Hoffnungen. Der neue und der alte Leiter, sie wirken ein wenig wie Vater und einziger Sohn.
Florian Fangmann geht hinaus aus der Hotellobby, die nach der Grundsanierung Ende der 90er so aussieht wie jede andere Hotellobby auch: ein Empfangstresen, dazu Zimmerpflanzen um eine Sitzgruppe herum drapiert. Von der Lobby sieht man auf ein Quergebäude: den Aufgang zum ehemaligen Theater- und Kinosaal. Die ausgeblichenen roten Gardinen vor der Garderobe sind zugezogen. Der Gärtner muss vor Kurzem da gewesen sein: Ein Haufen erdiger Arbeitsgeräte liegt auf dem Fliesenboden. Die Luft riecht modrig.
William Capoens Hände gestikulieren lebhaft, wenn er von alten Zeiten erzählt: von den eleganten Damen, die auf der Freitreppe zum Theatersaal vor einer Fensterglasfront an ihrem Champagner nippten, unter ihren Füßen schwammen Zierfische in einem großen, offenen Aquarium. Oder von jenen, die auf der Suche waren nach dem flüchtigen Vater ihres Kindes: „Einmal stand da eine junge Frau am Kasernentor, hochschwanger, und suchte einen Pierre“, erzählt Capoen. In einem braunen Lkw sei der unterwegs. „Was sollte ich machen, es gab Tausende Pierres in braunen Militär-Lkws damals.“
„Es war immer voll!“
1970 kam Capoen mit dem französischen Militär nach Berlin. Er leitete in der Zivilverwaltung die Abteilung deutsch-französische Beziehungen und organisierte das Kulturprogramm für die beiden Regimenter, die in der Kaserne am Kurt-Schumacher-Damm – damals das Quartier Napoléon – stationiert waren. Konzertabende fanden in „seinem“ Centre statt, Theater, Kino: „Es war immer voll.“
Es war seine Zeit. Für ein deutsch-französisches Radrennen auf der Müllerstraße ließ er Tour-de-France-Radprofis mit Militärmaschinen einfliegen. Mit 1.500 Berlinern und dem Bürgermeister aus Toulouse kochte er den größten Topf Cassoulet der Welt und kam damit ins Guinness-Buch der Rekorde. In dem Hotel, das auch früher schon eins war, hatte er französische Militärs zu Gast, „aus Trier und Baden-Baden, die wegen guter Führung Urlaub in Berlin bekamen“. Wenn William Capoen 20 Soldaten für Aufbauarbeiten brauchte oder drei Militärbusse, um eine französische Folkloregruppe durch Berlin zu fahren, genügte ein Anruf. Er pendelte zwischen dem Flughafen, wo er Militärdelegationen und französische Bürgermeister in Empfang nahm, und dem Kulturzentrum. Er hatte einen Chauffeur, eine Dienstwohnung und 26 Angestellte.
Die Fische sind weg
Das Aquarium ist heute leer. Oben im Theatersaal, 250 mit rotem Samt bezogene Sitzplätze, sind die Heizungen kaputt, die Sicherungen auch. Götz George habe hier mal gespielt, in den 60ern, sagt Florian Fangmann. Er hat alte Plakate im Archiv gefunden.
Das Centre Français ist ein Wendeverlierer. Mit dem Abzug der Alliierten fiel es an den Bund. Beim Bundesministerium für Finanzen beschloss man, das Ganze flugs in Privathand zu geben, und übertrug das CFB 1995 als gGmbH einer französischen Stiftung, dem Pariser Centre d’Echanges Internationaux, sowie der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin. Unter der Auflage, hier weiterhin deutsch-französische Kulturarbeit stattfinden zu lassen.
Nach drei Jahren Dornröschenschlaf waren allerdings Wasserleitungen geplatzt, war das Heizungssystem marode, weite Teile waren ohnehin asbestverseucht. Rund 2,5 Millionen Mark kostete die Instandsetzung der rund 3.500 Quadratmeter Nutzfläche. Der Bund, der Berliner Senat, das Bezirksamt und das französische Außenministerium beteiligten sich finanziell. Geld für den laufenden Kulturbetrieb gab es aber nicht. Das Centre sollte sich selbst tragen – was bis vor zwei Jahren auch gelang: Eintrittsgelder und Sponsoren finanzierten Theater und Konzerte, bis 2007 wurden Kinofilme gezeigt.
Keine Genehmigung
Was lange niemandem auffiel: Bei der Übertragung an das Bezirksamt Wedding ging irgendwie die Versammlungsstättengenehmigung für dieses Gebäude verloren, erzählt Fangmann. Als man für ein Theaterfestival 2010 die Feuerwehr beantragte, bemerkte das Bezirksamt, dass das Dokument fehlte – und verordnete dem Theatersaal eine grundlegende Brandschutzsanierung. 600.000 Euro sollte die kosten, sagt Fangmann. Das ist viel für ein Kulturzentrum, das sich in der Vergangenheit gerade so selbst trug. Fangmann will trotzdem gern optimistisch sein: Man habe die Zusage von Bundesgeldern und der Lotto-Stiftung. Er warte täglich auf den Baubescheid.
In den Seminarräumen neben dem Theatersaal funktioniert die Heizung noch, die Räume werden von Konzernen für Tagungen genutzt. Früher war hier mal eine Lehrküche: Französische Köche hätten zusammen mit Weddinger Hausfrauen gebrutzelt, erzählt Capoen. Kulturarbeit als Begegnung, der interkulturelle Ansatz: das seien die Leitgedanken der französischen Kulturpolitik gewesen: „Die Leute sind im Centre zusammengekommen.“
Capoen erzählt von älteren Damen aus der Nachbarschaft, die auch heute noch in seine Brasserie kämen. Von einer Frau, die ihn um Hilfe im Umgang mit den französischen Behörden bei der Rentenerklärung bat; ihr Mann hatte nach dem Krieg ein paar Jahre in Frankreich gearbeitet. Von einer anderen, die auf der Suche nach ihrem ehemaligen Liebhaber war, den sie noch einmal sehen wollte.
Blickt er manchmal mit Wehmut zurück? Nein, sagt William Capoen, warum auch? – Die Möglichkeiten, die er damals hatte. Der kurze Draht zu den Generälen, zu den wichtigen Männern. Als es keine Rolle spielte, dass es Geld kostet, ein Theater zu unterhalten und einen Fischteich zu beheizen. – Ach, fragt er zurück, was soll daran interessant sein? Es klingt, als wolle er nichts davon wissen.
Zuerst, sagt William Capoen, hat er sich gefreut, dass die Mauer gefallen sei – wie alle anderen auch. Dann sei eine Zeit des Niedergangs gekommen. Der Bund sei überfordert gewesen mit den ganzen Immobilien, für die er plötzlich zuständig war. „Man kann nicht einfach sagen: Hier, das ist jetzt eine gGmbh, macht mal weiter Kultur da drin.“ Kultur koste nun mal Geld. William Capoen sagt diesen Satz oft. Es ist die Lektion, die er auch selbst lernen musste, als die Mauer fiel, die Generäle weg waren und alles komplizierter wurde.
Beruhigt zurücklehnen
„Aber jetzt“, sagt er, „kann ich mich beruhigt zurücklehnen.“ Hotel und Brasserie liefen gut, sein Nachfolger schlägt sich geduldig mit dem Bezirksamt herum und teilt Capoens Vision vom neuen, alten deutsch-französischen Kulturort im Wedding.
Fangmanns Smartphone summt, das Bezirksamt schreibt. Fangmann flucht leise: Einige Parkplätze vor dem Centre sind offenbar auch nicht genehmigt – noch mehr Kosten.
Florian Fangmann weiß, dass er keinen leichten Job haben wird, auch wenn der Bauantrag dann irgendwann mal durch sein sollte. „Hier im Norden von Wedding ist ja nichts. Um da abends junge Leute aus Kreuzberg hinzulotsen …“
„Zu uns kommen die Nostalgiker“, sagt Capoen und lacht leise. Draußen spielt ein älteres Pärchen Boule unterm Eiffelturm.