: Nichts ist weder gut noch böse
ORIGINAL UND KOPIE In der Kunsthalle Weißensee werden Arbeiten der Klasse von Gregor Schneider gezeigt. Der Künstler stellte Studierenden aus Berlin und München eine Aufgabe: Sie sollten sich selbst kopieren
VON MARCUS WOELLER
Das Thema Kunsthalle wird in Berlin seit Jahren heiß debattiert. Einst war es sogar erklärtes Lieblingsthema von Klaus Wowereit und seinem Staatssekretär André Schmitz. Nach dem Abbau der Temporären Kunsthalle am Schlossplatz und Diskussionen um Standort- und Finanzierungsfragen verhedderte sich das Projekt einer permanenten Halle für die Kunst im Streit um politische Begehrlichkeiten. „Wir haben die Kunsthalle im Moment nicht mehr auf der Agenda“, sagte Schmitz vor einigen Wochen sogar dem rbb.
Zum Glück geht in dieser Stadt auch noch einiges ohne den Senat, und Kunsthallen entstehen aller Orten. Zumindest schmückt die Vokabel. Die koreanisch-deutsche Werbeagentur Platoon hat sich eine monumentale Container-Kunsthalle in Prenzlauer Berg gegönnt. Die Deutsche Bank will nach der Trennung von der Guggenheim Foundation ihre Räumlichkeiten in Mitte eigenständig als Kunsthalle weiternutzen. Und auch die Kunsthochschule Weißensee betreibt eine.
„Kaufhalle wird Kunsthalle“ steht über dem Eingang des Flachbaus aus den Sechzigerjahren am Hamburger Platz. Mit der Ausstellung „Doublings“ wurde er nun nach einer Renovierung für ein Gastspiel der Universität der Künste wiedereröffnet. Gezeigt werden Arbeiten der Klasse von Gregor Schneider, der seit 2009 an der UdK als Professor lehrt, seit diesem Dezember aber an der Münchner Akademie der Bildenden Künste sein sogenanntes „fliegendes Klassenzimmer“ installiert hat.
Gregor Schneider kennt sich mit Grenzüberschreitungen aus. Für sein „Totes Haus u r“ baute er in ein altes Gebäude so viele Räume, Schranken, Irrwege, dass es nur mit wahrlich entgrenzender Ambition durchquert werden konnte. 2001 gewann er für die Installation dieses von vielen Besuchern als unheimlich erfahrenen Kunstwerks im Deutschen Pavillon in Venedig den Golden Löwen der Biennale. 2005 durfte er trotzdem keinen abstrakten, schwarzen Kubus auf dem Markusplatz aufstellen, weil er zu sehr an die Kaaba in Mekka erinnerte. Auch der Hamburger Bahnhof limitierte sich selbst ein Jahr später noch mit politischen Bedenken. Die letzte Grenze tastete Schneider zuletzt mit seinem transzendenten „Sterberaum“ an.
Seiner Klasse gab er eine sehr konkrete Aufgabe: Die rund vierzig Studenten und Studentinnen sollten sich selbst kopieren. „Zwischen diesen beiden Herangehensweisen, dem ‚Original‘, dem spontanen und intuitiven ersten Entwurf, und der ‚Kopie‘, der zweiten geplanten und überdachten Wiederholung, ist für mich die Differenz bzw. die Gemeinsamkeit bemerkenswert“, sagt Schneider. „Die Doppelung stellt jede Einzigartigkeit in Frage und damit auch unsere Orientierung und unser Gefühl von Unwiederbringlichkeit und Geborgenheit.“ Glücklicherweise verzichtet die Ausstellung darauf, Original und Kopie nebeneinanderzustellen. Viele Künstler stellen ausgehend von diesem Gegensatzpaar lieber übergreifende Fragen zum Verhältnis von echt und gefälscht.
Vanillin ist wahrscheinlich eine der erfolgreichsten Kopien der Welt. Als billiger Aromastoff hat es die echte Vanille auf den Luxusmarkt verdrängt und steckt nun in fast allem, das verführerisch duften soll. Camilla Nicklaus-Maurer hat drei Kilo Vanilleschoten in einem unzugänglichen Kellerraum ausgelegt, der durch Kernbohrungen im Fußboden mit der Kunsthalle verbunden ist. Geht man auf die Knie und schnuppert an dem Metallgitter, das die Öffnung verbirgt, fühlt man sich wahlweise an Tahiti oder Weihnachtskipferl erinnert. In der Gefängniszelle, für die die Arbeit einst entstand, träumten die Häftlinge wohl eher von der süßen Freiheit.
Susi Gelb kopiert sich selbst und Joseph Beuys. Dessen berühmte Capri-Batterie, die Verbindung einer Zitrone mit einer Glühbirne, stattet sie allerdings mit Energiesparlampen aus. Glimmte in Beuys’ Installation noch die sinnliche Idee, macht die Veränderung der Arbeit deutlich, dass hier kein Funke mehr überspringt. Denn die ökonomischen Konsensleuchten appellieren nur noch an die Vernunft.
Was ist wahr, was erfunden? Wer liegt richtig, wer falsch? Was ist verwandt, was sich fremd? Julika Meyer verwirrt mit einer Galerie von neun Fotos, die eine seltsame Patchwork-Familie zeigen. Mutter und Tochter sind immer dieselben, doch der Vater wechselt. Auf einem Kondomautomaten, dessen Inhalt bekanntlich der eigenen Reproduktion Grenzen setzen kann, hat Maximilian Bayer dagegen eine Antwort gefunden, nicht nur auf Fragen der Familienplanung: „Nichts ist weder gut noch böse, erst das Denken macht es dazu.“ Und sind die Gedanken schmutzig, dann hilft vielleicht Seife. Bayer bietet sie in einem beinahe identischen Automaten an.
■ „Doublings“, Kunsthalle am Hamburger Platz, Gustav-Adolf-Straße 140, Weißensee. Bis 7. Januar 2013, Do.–Sa. 14–19 Uhr