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Archiv-Artikel

Nichts ist sicher

URBANITÄT Eine Konferenz an der Technischen Universität stellte heraus, dass es keine totale Sicherheit in Städten geben kann. Es ging um mediale Sicherheitsbilder, um Jugendkriminalität und benachteiligte Stadtquartiere

Soziale Probleme werden häufig unreflektiert verräumlicht und dadurch vereinfacht

VON JASMIN KALARICKAL

Warschau kurz nach dem Systemumbruch: wachsende Arbeitslosigkeit, Inflation und die Ungewissheit der Menschen, wohin es wohl geht. Die allgemeine Verunsicherung führt zeitweise zu einem Anstieg der Kriminalität, vor allem Einbrüche und Diebstähle, das Verlangen nach Sicherheit wächst. „Heute gibt es in Warschau über 400 Gated Communities – eine Folge der neoliberalen „Schocktherapie“, sagt Joanna Kusiak, Wissenschaftlerin der Universität Warschau und der TU Darmstadt, Stadtaktivistin und Publizistin.

Am vergangenen Freitag hält sie in den Räumlichkeiten der Technischen Universität einen Vortrag im Rahmen einer zweitägigen Konferenz mit dem Titel „Das Versprechen der ‚sicheren‘ Stadt“. Diese Konferenz bildet den Abschluss eines knapp zweieinhalb Jahre vom Bildungsministerium geförderten Forschungsprojekts namens „DynASS“: „Dynamische Arrangements städtischer Sicherheitskultur“. Ein Projekt, das an alltägliche städtische Erfahrungswelten anknüpft.

Schon zu Beginn wird deutlich: Es gibt keine absolute Sicherheit in Städten. „Sicherheit ist ein relatives Konzept“ sagt Prof. Dr. Dietrich Henckel von der TU, der rund achtzig TeilnehmerInnen eine kurze Einführung gibt. Henckel ist Verbundkoordinator des Projekts. „Bei DynASS geht es nicht um die großen Bedrohungen der Zeit, um Terrorismus und organisierte Kriminalität“, sagt Henckel, „sondern um Sicherheit im öffentlichen Raum.“

Das, was sachlich angekündigt wird, präsentiert sich dann als thematisch vielfältige Konferenz. Es geht um mediale Sicherheitsbilder, Sicherheitspolitik in osteuropäischen Staaten, um Jugendkriminalität, um Förderung benachteiligter Stadtquartiere, um Akteure wie die städtische Polizei, die für Sicherheit sorgen soll. In sechs Panels referieren je vier WissenschaftlerInnen.

Joanna Kusiak ist eine von ihnen. Sie spricht über den Boom von Gated Communities in Warschau nach dem Systemumbruch. Für die Zuhörer hat sie keine kulturellen Erklärungen parat, nur kurz spricht sie über Konsumhunger und Amerikanisierung, dafür ausführlich über verfehlte Stadtpolitik und massive Privatisierung in den Neunzigern, über den Ausverkauf an ausländische Investoren, über neoliberale Interessen, die zu paradoxen Entwicklungen geführt haben. „Das Wohnen in Gated Communities ist heute nicht sicherer, aber es ist billiger als anderswo“, sagt Kusiak. Der Staat sei gerade dabei, für viel Geld Grundstücke von Investoren zurückzukaufen, um Schulen bereitstellen zu können. Solche Entwicklungen müsse man brechen, sagt sie. Ein Teilnehmer erhebt Widerspruch: „Ich glaube nicht, dass integriertes Wohnen das gute Gegenstück zu Gated Communities ist“, sagt er. Überall gebe es doch unsichtbare Zäune. „Und ist es nicht auch ein Stück Freiheit, wählen zu können?“ Kusiak muss nicht lange überlegen: „Was in Warschau passiert, ist eine Diktatur der Bauentwickler.“

Theoretischer, aber nicht weniger interessant, ist der Vortrag von Manfred Rolfes, Professor für angewandte Humangeografie der Universität Potsdam, der über „Urbane Sicherheiten. Formen, Bedingungen und Konstruktionen“ spricht. Rolfes erklärt, wie Kriminalität und soziale Probleme häufig unreflektiert verräumlicht und dadurch vereinfacht werden. Wie beispielsweise die Komplexität eines Gentrifizierungsprozesses auf Schwaben im Prenzlauer Berg reduziert wird. Oder wie Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit fast ausschließlich als „ostdeutsches Problem“ wahrgenommen wird. Ihm geht es um Vereinfachungen, Homogenisierung, falsche Kausalzusammenhänge.

Noch existenzieller wird es dann beim Referat von Dr. Mélina Germes vom deutsch-französischen Forschungszentrum Centre Marc Bloch. Germes hat sich ein emotional aufgeladenes Thema ausgesucht. Es geht um die sogenannten Banlieues, also jene Pariser Vororte, die vor allem mit Kriminalität, Arbeitslosigkeit und städtebaulicher Verwahrlosung assoziiert werden und in Frankreich ein großes Politikum darstellen. „Im Diskurs über die Banlieues geht es nicht um Wahrnehmung“, sagt Germes, „sondern um Macht.“ Kurz darauf fallen Worte, mit denen das Publikum bei dieser Veranstaltung vermutlich nicht gerechnet hat: hegemonialer Diskurs, Subjektpositionen. „Die Problematik der Banlieues liegt nicht im Ort, sondern bei denen, die diesen Diskurs bestimmen“, sagt Germes – also beim privilegierten Mittelstandspariser, der die Vororte als gefährlich markiert. Spätestens da wird klar, dass „Sicherheit“ subjektiv ist. Zumindest das scheint sicher, relativ sicher, für einen Moment.