: Im Wald, weit weg von uns
ASYL Seit Jahren ist die Flüchtlingsunterkunft in Althüttendorf in Verruf. Vor einigen Wochen ist dort ein Mann gestorben – offenbar ist er aus Verzweiflung durchgedreht. Zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen führt der tragische Tod jedoch nicht
■ Für die Flüchtlinge vom Camp am Kreuzberger Oranienplatz ist die Unterbringung in Sammelunterkünften – oder Lagern, wie sie sagen – eines der größten Probleme. „Dort töten sie uns langsam“, sagte Napuli Langa, eine der Aktivistinnen, am Dienstag bei der Vorstellung ihrer neuen Aktion. 15 Flüchtlinge und UnterstützerInnen sind an diesem Tag zu einer Bustour in 22 deutsche Städte aufgebrochen. Sie wollen dort Lager besuchen und die Bewohner auffordern, sich den Protesten anzuschließen.
■ Seit Oktober leben rund 100 Flüchtlinge am Oranienplatz und fordern die Abschaffung von Flüchtlingslagern, Residenzpflicht und Abschiebungen. Für den 23. März haben die Flüchtlinge erneut eine Demo angekündigt.
■ Auf einer ihrer Webseiten www.refugeetentaction.net erschien Anfang Februar ein Bericht über die katastrophalen Zustände in Althüttendorf. (sug)
VON SUSANNE MEMARNIA
Viel Wald gibt es um Althüttendorf. Bäume, so weit das Auge reicht. Ein paar Einfamilienhäuser, eine Dorfschenke, eine schmucke Villa namens „Daheim“. Ihr gegenüber zweigt ein Feldweg von der Bundesstraße ab. Zwischen Bäumen stehen eingezäunt ein halbes Dutzend Baracken – die „Gemeinschaftsunterkunft Althüttendorf“. Hier in der brandenburgischen Abgeschiedenheit, knapp 20 Kilometer von Eberswalde entfernt, lebte Bernhard Mwanzia aus Kenia. Und irgendwo in diesem Wald starb der 28-Jährige.
Seine Leiche wurde am 8. Dezember gefunden, zehn Tage nach dem Verschwinden des jungen Mannes. Die Obduktion ergab „Erfrieren“ als Todesursache, Hinweise auf Fremdeinwirkung wurden nicht gefunden. Es gab damals eine kurze Meldung in der Märkischen Oderzeitung, der zuständige Barnimer Landrat Bodo Ihrke (SPD) äußerte sein Bedauern. Die Polizei untersucht derzeit noch, ob Mwanzia Drogen genommen hat. Aber im Prinzip ist der Fall abgeschlossen. Ein junger Mann ist erfroren. Nur warum? Und: Hätte man das verhindern können?
Für Ahmed Abdullah Hasan ist der Fall klar. Er ist einer von 100 Flüchtlingen, die derzeit in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) leben. „Mwanzia ging es schlecht, weil er schon einige Jahre hier lebte. Er wollte sich töten“, sagt der Somalier. In jener Nacht Ende November sei Mwanzia ausgerastet, habe seine Sachen aus dem Zimmer in den Flur geschmissen und geschrien, das habe alles keinen Sinn mehr. „Dann ist er rausgelaufen in den Wald, nur mit einem Hemd bekleidet, fast nackt“, erzählt der 46-Jährige.
Dass ein Flüchtling sterben will, weil er das Leben im Lager, die Perspektivlosigkeit, die Unsicherheit nicht mehr aushält: Für die anderen Flüchtlinge ist das nicht verwunderlich. Auch Hasan erzählt von Depressionen und Selbstmordgedanken. Seit zehn Monaten sei er in Althüttendorf und wisse nicht, wie es weitergeht. Der schwerkranke Mann – seit einer Schussverletzung hat er einen künstlichen Darmausgang und ständige Schmerzen in Unterleib und Beinen – wohnt mit zwei anderen Männern auf knapp 20 Quadratmetern. Dabei bräuchte er mit seiner Krankheit eigentlich etwas Intimsphäre: „Manchmal riecht es streng oder macht peinliche Geräusche“, sagt er und zeigt in Richtung des Beutels unter seinem Hemd.
In den 1930ern erbaut
Umstritten ist die GU Althüttendorf seit ihrer Einrichtung als Flüchtlingsunterkunft Mitte der 1990er Jahre. Die schon in den 30er Jahren erbaute Feriensiedlung sieht so alt aus, wie sie ist. Mehrere Einzimmerhäuschen aus dünnem Holz gruppieren sich um zwei lange Haupthäuser, die durch einen überdachten Gang verbunden sind. Wer von seiner Baracke zu den Sanitäranlagen oder der Gemeinschaftsküche im vorderen Haupthaus will, läuft je nach Witterung durch Schnee und Matsch. Für Einkäufe, Arzt- oder Ämterbesuche und Sprachkurse müssen die Bewohner mit dem Zug nach Eberswalde fahren.
„Eine Schande für den Landkreis ist das Heim“, sagt Péter Vida, Vorsitzender des Barnimer Beirats für Migration und Integration. „Dass manche Menschen dort jahrelang leben müssen, ist ein Skandal.“ Der Tod Mwanzias sei zweifelsohne das „Ergebnis einer unwürdigen Behandlung“ und seiner daraus resultierenden psychischen Verfassung. Bea Spreng, Pfarrerin im benachbarten Joachimsthal und Mitglied des Heimbeirats, geht noch weiter und spricht ausdrücklich von einem „suizidalen Vorgang“. Die Probleme in Althüttendorf seien bekannt: Das Haus sei baulich ungeeignet, zu abgelegen und die Betreuer vor Ort – Heimleitung, Sozialarbeiter, Beirat – mit den psychischen Schwierigkeiten der Bewohner überfordert.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert schon seit Jahren die Schließung von „Dschungelheimen“ wie Althüttendorf. „Die rot-rote Landesregierung spricht viel von Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen“, sagt Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat. „Aber ihre Taten sprechen eine andere Sprache.“ Zwar habe die Regierung selbst im Januar 2012 festgestellt, dass Gemeinschaftsunterkünfte außerhalb von Ortschaften – also wie die GU Althüttendorf – aus integrations- und sozialpolitischer Sicht geschlossen werden müssten. Geschehen sei jedoch nichts.
Anfang des Jahres sei allerdings die landesweite Vorgabe, nach der jedem Flüchtling nur sechs Quadratmeter Wohnfläche zugestanden wird, um ein weiteres Jahr verlängert worden. „Mit dieser Vorgabe werden die Heime bis in die hinterletzte Ecke mit Menschen vollgestopft, auch in Gebäudebereichen, die etwa in Althüttendorf gar nicht mehr belegt werden sollten. Die Zustände dort widersprechen menschenrechtlichen Standards“, sagt Tetzlaff.
Schlechte Bedingungen
Auch Landrat Ihrke weiß, dass die Bedingungen in Althüttendorf „nicht ideal“ sind, wie sein Sprecher Oliver Köhler erklärt. Von „menschenunwürdigen“ Zuständen möchte er trotzdem nicht reden. Althüttendorf werde vom Landesamt für Soziales und Versorgung regelmäßig überprüft, die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbedingungen würden eingehalten.
Die sind allerdings denkbar gering: Es gibt eine Küche mit drei Herden für 100 Menschen, keine Aufenthaltsmöglichkeiten außer einem Raum mit zwei Computern, keine Spiele, Bücher oder sonst etwas zu tun. Ahmed Abdullah Hasan hat verstanden, was das bedeutet: dass er und die anderen Flüchtlinge hier nicht willkommen sind. „Ich habe erwartet, hier gut und freundlich behandelt zu werden, aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt er während einer kurzen Führung über das Gelände, bei der er zeigen will, wie weit der Weg für manche Bewohner bis zu den Waschräumen ist. Im Flur kommt eine Mitarbeiterin des Heims ihm und der Reporterin entgegen. „Ahmed, du weißt doch, dass du Besuch anmelden musst“, weist sie Hasan zurecht.
Eigentlich dürfe es so etwas wie Althüttendorf gar nicht geben, sagt Pfarrerin Bea Spreng. Zumal die Menschen dort in einer psychisch sehr schwierigen Lage seien. „Es gibt wahnsinnige Ängste und Schwersttraumatisierte. Dafür fehlt die psychologische Betreuung.“ Das sieht auch die Migrationsbeauftragte des Landkreises, Marieta Böttger. Als Reaktion auf den Todesfall habe der Kreis daher beschlossen, künftig einmal im Monat einen Psychologen und einen Amtsarzt in die GU zu schicken. Aber ob man den Tod Mwanzias hätte verhindern können? Böttger bezweifelt es. „Ich kannte ihn schon sehr lange. Er passte eigentlich nicht ins Schema. Er hatte inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis und war auf Wohnungssuche.“
Genau das war möglicherweise das Problem: Geeignete Wohnungen scheinen Mangelware im Landkreis zu sein. Man wolle ja mehr Flüchtlinge aus Althüttendorf in Wohnungen unterbringen, weil man sich der Lage im Heim bewusst sei, sagt Köhler, der Sprecher des Landrats. Aber man fände leider immer weniger bezahlbare Wohnungen, viele Vermieter wollten die Flüchtlinge nicht. „Gerade alleinstehende Männer sind schwierig zu vermitteln“, erklärt er.
Keine Wohnungen
Péter Vida vom Migrationsbeirat sagt dagegen, es sei „Blödsinn“, dass es keinen kommunalen Wohnraum gebe – die Bürgermeister müssten sich nur einen Ruck geben. Unbestritten ist, dass sich der Kreis etwas einfallen lassen muss, denn die Flüchtlingszahlen steigen: Bislang hatte Barnim 100 Asylbewerber in Althüttendorf und 65 weitere in Wohnungen, vor allem in Bernau und Eberswalde, untergebracht. Seit dem Herbst wurden dem Kreis weitere 94 Menschen vom Land zugewiesen. Anfang dieses Jahres wurde daher eine zweite Gemeinschaftsunterkunft eröffnet: in einem ehemaligen Internat in Wandlitz sind nun ebenfalls 50 Flüchtlinge untergebracht.
Für Vida ist das die falsche Strategie. „Wenn so ein Heim einmal eingerichtet ist, dann bleibt es auf Jahre“, befürchtet er. „Wir müssen die Leute unterstützen in der Entwicklung eines freien Lebenswandels. Dazu gehören Wohnungen.“
Für Hasans Nachbar im Zimmer gegenüber muss das wie Hohn klingen. Seit zwei Jahren lebt der junge Mann aus Sierra Leone, der seinen Namen nicht nennen will, in Althüttendorf. „Das System weiß von Orten wie diesen, aber man tut nichts, um das zu ändern“, sagt er und blickt starr auf den flimmernden Fernseher. Seit zwölf Jahren ist er in Deutschland und hat immer in Heimen gewohnt. „Sie sagen, ich soll mir eine Wohnung in Eberswalde suchen, aber dort bekomme ich nichts.“ Auch einen Vollzeitjob, der ihn von staatlicher Hilfe unabhängig macht, könne er nicht finden. Deswegen bekommt er immer nur kurzfristige Aufenthaltserlaubnisse – die ihm die Jobsuche noch mehr erschweren. Inzwischen weiß er nicht mehr, was er tun soll. „Es ändert sich sowieso nichts.“