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Archiv-Artikel

Das Ende der Expansion

BUNDESTAG Wie kann man den Begriff „Wohlstand“ neu definieren?

BERLIN taz | Die Zunahme der Wirtschaftsleistung ist eines der zentralen Prinzipien der Marktwirtschaft. Alljährlich soll der Wert der produzierten Güter und Dienstleistungen steigen. In den meisten Industrieländern gilt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als wichtigster Maßstab des Wachstums. Das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen gibt einfach den Gesamtwert der aus inländischer Herstellung stammenden Endprodukte an (abzüglich der Vorleistungsimporte). 2010 betrug es in Deutschland 2,5 Billionen Euro.

Im BIP wird alles erfasst, die schönen Dinge ebenso wie die Kosten von Autounfällen und Krankheiten, alles steigert die Wirtschaftsleistung. Würde man die Schadens- und Reparaturkosten herausrechnen, fiele die Summe der Wirtschaftsleistung sehr viel geringer aus.

In Deutschland hat Wachstum Gesetzesrang. 1967 wurde in der ersten großen Koalition das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft beschlossen. Demnach ist die Regierung verpflichtet, für die angemessene und stetige Zunahme der Wirtschaftsleistung zu sorgen.

Seit ungefähr der gleichen Zeit wird aber auch darüber diskutiert, dass das permanente Mengenwachstum die Aufnahmefähigkeit der Menschen, der Märkte und der Natur übersteigt. Als Beispiel dafür, dass das Wachstum destruktiv geworden ist, gilt der Klimawandel, verursacht durch die immer noch zunehmende Belastung der Atmosphäre mit Kohlendioxid aus der Verbrennung von Holz, Kohle, Gas und Öl.

Neue Indikatoren

Im Auftrag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy haben die Ökonomen Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi deshalb Ansätze für einen neuen Wohlstandsindikator entwickelt – das Nettoinlandsprodukt. Dieses geht über den Mengenaspekt hinaus und schließt andere soziale und ökologische Entwicklungen ein.

Einen Beitrag zu dieser Debatte sollen auch die Wissenschaftler der Enquetekommission des Bundestages leisten. Ihr Auftrag lautet, einen „ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator zu entwickeln“, der auch „die subjektiv von den Menschen erfahrene Lebensqualität und Zufriedenheit“ einschließt.

Die Vereinten Nationen verwenden seit Jahrzehnten bereits den „Index der menschlichen Entwicklung“ (Human Development Index, HDI). Dieser bezieht auch soziale Größen ein wie Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung. Deutschland stand darin 2010 auf dem zehnten Rang weltweit, während es beim BIP auf dem vierten Platz rangierte.

Der Himalajastaat Bhutan misst inzwischen das „Bruttosozialglück“ seiner Einwohner. Relevant sind unter anderem das persönliche Wohlbefinden, Gesundheit, Bildung, die Zufriedenheit mit der Staatsführung, der Lebensstandard und die ökologische Vielfalt. HANNES KOCH