: Jeder ist verdächtig
SANDSTÜRME Ein abgelegenes Hotel am argentinischen Südatlantik, ein Mord in illustrer Runde – 1946 schufen Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares ein klassisches Werk der argentinischen Literatur. Nun erscheint es endlich auf Deutsch. Es glänzt durch Ruhe und Eleganz
Ocampo ist ein klingender Name in der argentinischen Kulturgeschichte. Die Ocampos sind eine wohlhabende argentinische Oberschichtsfamilie und brachten vor allem sehr freie und kunstsinnige Töchter Anfang des letzten Jahhunderts hervor. Silvina Ocampo gilt als eine bedeutende Lyrikerin und Erzählerin von Kurzgeschichten. Ihre Schwester Victoria Ocampo gab die Zeitschrift „Sur“ heraus, war mit Jorge Luis Borges und anderen internationalen Größen der künstlerischen Avantgarde des vorigen Jahrhunderts befreundet, eine glühende Verehrerin und Mäzenatin der Intellektuellen. Silvina Ocampo hingegen, von der hier weiter die Rede sein soll, veröffentlichte nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit Adolfo Bioy Casares, einer anderen Berühmtheit der argentinischen Literatur, die Kriminalparodie „Los que aman, odian“. Der gemeinsam verfasste Roman erschien 1946 auf Spanisch und liegt nun in der deutschen Übersetzung von Petra Strien-Bourmer mit dem Titel „Der Hass der Liebenden“ vor.
„Wie Wogen schwarzen Wassers peitschte es gegen die Scheiben: das war der Sand.“ Eine kleine aber feine Feriengesellschaft befindet sich eingeschlossen vom Unwetter in einem nicht allzugroßen Hotel am argentinischen Südatlantik. „Da ertönte ein erstickter Schrei.“ Ocampo und Casares spielen mit dem noch relativ frischen Genre des Kriminalromans, parodieren ihre liebenswert altmodisch angelegten Figuren, über deren Unzulänglichkeiten sie in ironischen Einschüben berichten. Als selbstverständliche Respektsperson sieht sich Humberto Hubermans auserkoren, die Privatermittlungen anzuleiten. Huberman ist ein Arzt aus Buenos Aires, der in der Abgeschiedenheit von Meer und Land die schönen Bodnoi-Ausgaben des „Satyricon“ von Gaius Petronius gedachte zu studieren. Er ist ein freundlicher Pedant, abhängig von seiner täglichen Ration an Drogen, er braucht Arsen Globuli in kleinen homöopathischen Dosen.
Casares und Ocampo schaffen leichthin und gekonnt eine Miss-Marple-Atmosphäre auf Argentinisch. Sie erzählen eindringlich, in feinen, überrealistisch aufgeladenen Bildern und halten den Erzählfluß angenehm unpanisch und sachlich. Verdächtig sind schliesslich am Ende alle, ob Kinder, Verwandte, Ärzte oder Polizisten. Nur wen die nahe Lagune verschluckt hat, wer Bekanntschaft mit den Krebsen gemacht hat oder im Treibsand verschwunden ist, die oder der ist raus aus dem Spiel. FAN
■ Silvina Ocampo/Adolfo Bioy Casares: „Der Hass der Liebenden“. Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer. Mit einem Nachwort von Heinrich Steinfest. Manesse Verlag, Zürich 2010. 190 Seiten, 18,95 Euro
■ Von Victoria Ocampo ist zudem das aussergewöhnliche Werk: „Mein Leben ist mein Werk. Eine Biographie in Selbstzeugnissen“ hg. und übersetzt von Renate Kroll im Aufbau Verlag Berlin erschienen. 350 Seiten zu 22,95 Euro