: Abschalten? Nein Danke
KRÜMMEL Antrag auf Stilllegung des Pannenreaktors scheitert im Kieler Landtag an einer urlaubenden Abgeordneten. Dabei outete sich selbst der neue CDU-Atomminister von Boetticher als AKW-Kritiker
In einem Brief an die Anwohner des Atomkraftwerks Krümmel hat Vattenfall einen Dialog angeboten. „Wir möchten als guter Nachbar mit den Menschen ins Gespräch kommen“, beteuert Vattenfall-Chef Ernst Michael Züfle. „Das Kernkraftwerk Krümmel ist eine sichere Anlage, und wir sind ein zuverlässiger Betreiber. Das wollen wir Ihnen gern beweisen“, heißt es in dem Brief. Deshalb wolle der Konzern „mit Ihnen das Gespräch führen und Ihre Meinung kennen lernen“.
■ Wer mit Vattenfall kommunizieren will, wird gebeten, sich mit dem Infozentrum in Krümmel in Verbindung zu setzen unter ☎ 04152 / 5940 oder per E-Mail an Kernenergie@Vattenfall.de.
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Das Atomkraftwerk Krümmel wird nicht stillgelegt. Denn das Agieren mit wechselnden Mehrheiten ist im Kieler Chaos-Landtag nicht so einfach, wie sich Donnerstagmittag zeigte: Mit Ausnahme eines einzigen CDU-Abgeordneten hatten alle anderen Mitglieder des schleswig-holsteinischen Parlaments Noch-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) das Vertrauen entzogen, da krachte es in den Reihen der neu formierten Opposition. Die endgültige Abschaltung des Pannenmeilers an der Elbe wurde vertagt.
Dabei hatte der Antrag der so genannten „Dänenampel“ aus SPD, Grünen und SSW mit 35 von 69 Mandaten eigentlich eine Mehrheit im Landtag. Die kam aber nicht zum Tragen, weil eine SPD-Abgeordnete zur Abstimmung nicht aus dem Urlaub zurückgekommen war. SPD und SSW entsprachen deshalb dem Wunsch der FDP, den Antrag zur Beratung in den Sozialausschuss zu überweisen. Die Grünen, die ohne weitere Debatten den Stilllegungsbeschluss hatten durchsetzen wollen, standen plötzlich ohne ihre erhofften Partner allein da.
Und das, obwohl Fraktionschef Karl-Martin Hentschel die bereits für vorigen Montag geplante Debatte extra hatte verschieben lassen. Er wolle bis Donnerstag „eine breite Mehrheit für unseren Antrag erreichen“, hatte er argumentiert. Wegen der urlaubenden SPD-lerin war das ein Schuss in den Ofen.
Unterstützung kommt dafür aus dem außerparlamentarischen Raum. Greenpeace forderte den frisch installierten Atomminister Christian von Boetticher (CDU) auf, dem Betreiber Vattenfall die Betriebsgenehmigung für den Pannenreaktor Krümmel wegzunehmen. Die Landesregierung müsse Vattenfall „als unzuverlässigem Betreiber die Betriebserlaubnisse entziehen“, forderte auch Sybille Macht-Baumgarten, Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Schleswig-Holstein.
Von Boetticher kündigte im Landtag eine „unvoreingenommene Überprüfung“ von Vattenfall an. Die Stilllegung Krümmels könne das Ergebnis der Prüfungen sein, dürfe aber nicht schon von vornherein deren Ziel sein. Der Umweltminister hat von der entlassenen SPD-Ministerin Gitta Trauernicht kommissarisch bis zur Neuwahl des Landtags in zwei Monaten die Atomaufsicht übernommen.
Der Meiler in Krümmel steht seit dem 4. Juli nach einem Kurzschluss still. Der erneute Störfall nach gerade beendeten zweijährigen Reparaturen hatte eine bundesweite Debatte über den Ausstieg aus der Atomenergie entfacht. Inzwischen hat Vattenfall auch einen defekten Brennstab im Reaktorkern ausgetauscht. Der Schaden war erst nach der Abschaltung aufgefallen. Frühestens im Mai nächsten Jahres kann der Reaktor wieder ans Netz gehen – wenn die Atomaufsicht das genehmigt.
Bei seiner ersten Rede in der neuen Funktion outete der 38-jährige von Boetticher sich als Atomkraftkritiker. Das sei „eine Übergangstechnologie“ und er selbst befürworte „den langfristigen Ausstieg“. Was die Kritik an Vattenfall angeht, folgte er weitgehend der Linie seiner Vorgängerin. „Das Controlling im Kernkraftwerk muss endlich funktionieren“, forderte der Minister. Das noch von Trauernicht angeforderte Gutachten zur Zuverlässigkeit Vattenfalls werde Grundlage seiner Entscheidung über das Wiederanfahren sein, betonte er. „Gemeinwohlinteresse muss vor Unternehmensinteresse gehen.“
„Die Nutzung der Atomenergie ist gefährlich“, beharrte Trauernicht, die erstmals als einfache Abgeordnete im Landtag sprach. Krümmel sei derzeit faktisch stillgelegt und dabei solle es bleiben. Auch Hentschel und Lars Harms vom SSW sprachen sich wortreich für den Ausstieg aus der Atomenergie und die sofortige Abschaltung des Atomkraftwerks Krümmel aus. Sprecher von CDU und FDP hingegen wollten bei aller Kritik im Einzelfall an Vattenfall soweit dann doch nicht gehen.
Nach Ansicht der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg wäre das ohnehin Augenwischerei. „Krümmel wird das Bauernopfer, um die Pläne der Union zu retten, nach den Wahlen die Laufzeiten der Atommeiler zu verlängern“, glaubt Initiativensprecher Wolfgang Ehmke: „Atomkraft war gestern, auf Bauernfängerei fällt niemand mehr herein.“
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