: Gefährliche Strahlengurke
ATOM I Erste offizielle Daten über die nukleare Belastung der Region von Fukushima: Teilweise weit über den Grenzwerten. Wiederbesiedlung der Zone sehr fraglich
STRAHLENEXPERTE PFLUGBEIL
VON BERNHARD PÖTTER
BERLIN taz | Die Strahlenbelastung der weiteren Umgebung des havarierten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi hat an manchen Stellen gefährliche Werte erreicht. Vor allem in der „Abgasfahne“ Richtung Nordwesten überschreiten die Messergebnisse teilweise deutlich die Grenzwerte. Diese Tatsache, die bisher von Umweltschützern und internationalen Organisationen moniert wurde, wird jetzt durch offizielle japanische Daten bestätigt. Gestern begannen die Behörden in Japan mit der Veröffentlichung der Werte, die bisher laut Regierung „aus Angst vor Panik“ zurückgehalten wurden.
Alle Messungen zeigen eine Zone der Belastung, die sich ähnlich einer Gurke nach Nordwesten erstreckt. Im Kern der Zone haben die Behörden zwischen dem 12. März und dem 24. April Belastungen von 100 Millisievert gemessen – eine Dosis, bei der nach einer Übersicht des „Bundesamts für Strahlenschutz“ (BfS) Krebserkrankungen und die Schädigungen von Embryonen leicht zunehmen. Bis an die Grenze der 20-Kilometer-Zone, aus der die Menschen evakuiert wurden, wurden immer noch 50 Millisievert gefunden – auch das noch zweieinhalbmal so viel, wie ein AKW-Arbeiter pro Jahr aufnehmen darf. Und die geborstenen Reaktoren strahlen weiter.
Ergänzt werden diese aktuellen Messungen aus den Wochen nach dem Desaster in Fukushima durch eine andere Hochrechnung: Die französische Nuklearsicherheitsbehörde IRSN hat auf der Basis von Messdaten des US-Energieministeriums die radioaktive Belastung der Gegend für die Zukunft abgeschätzt (siehe Grafik). Danach soll im Nordwesten der zerstörten Reaktoren von Fukushima Daiichi die Belastung auf über 4 Millisievert steigen, in manchen Gegenden auf über 18, und in einer breiten Kernzone auf über 30 Millisievert pro Jahr. Damit liegen diese Werte deutlich höher als etwa die Grenzwerte für AKW-Arbeiter und weit über den etwa 2 Millisievert, die pro Jahr Menschen aus künstlichen Quellen wie etwa medizinischen Untersuchungen zumutbar sind.
An einigen „Hotspots“ überschreiten die geschätzten Belastungen 30 Millisievert. Das BfS erklärt: „Die uns vorliegenden Messergebnisse zeigen, dass die unter anderem von der IAEO und von Greenpeace empfohlene Ausdehnung der Evakuierungsmaßnahmen in nordwestlicher Richtung schon aufgrund der nachgewiesenen Belastungen geboten ist.“
Zumindest mittelfristig sind diese Gegenden nach Meinung von Sebastian Pflugbeil von der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz kaum noch zu bewohnen. „Da muss man weg, da gibt es keine Grundlage zum Leben“, sagte Pflugbeil nach seinen Erfahrungen aus der „Todeszone“ rund um das AKW in Tschernobyl. Die Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Schulkindern in Fukushima liefen auf einen Wert hinaus, der dem eines AKW-Arbeiters vergleichbar sei.
Inzwischen wurde bekannt, dass nach Problemen mit Brennstäben im Atomkraftwerk Tsuruga II an der Westküste Japans der Betreiber Japan Atomic Power Co. den Meiler herunterfahren will. Jeder der insgesamt 193 Brennstäbe soll auf Schäden untersucht und wenn nötig ausgetauscht werden. Am Montag hatte ein Anstieg radioaktiver Substanzen im Kühlwasser des Reaktors Hinweise auf leicht defekte Brennelemente gegeben.