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Gema killt den Videostar

Google und die Gema streiten sich ums Geld. Deswegen werden nach und nach alle Musikvideos auf der Google-Tochter Youtube gesperrt. Nutzer mag das stören, Künstler aber leiden darunter

VON BENJAMIN WEBER

Das Internetunternehmen Google kann man kritisieren. Wegen des Datenschutzes beim E-Mail-Dienst Gmail. Wegen der zurzeit laufenden Copyright-Diskussion. Oder wegen seiner beunruhigend großen Meinungsmacht. Das darf man alles sehr bedenklich finden. Im Oktober 2006 hat Google auch das Videoportal Youtube gekauft. Berechtigte Zweifel hin oder her: Youtube ist schon irgendwie praktisch. Doof nur, dass seit gestern nach und nach für Nutzer aus Deutschland alle Musikvideos gesperrt werden.

Es kann wirklich ein erheiternder und kurzweiliger Zeitvertreib sein, Youtube zu durchsuchen. Sich zu wundern über einen Ausschnitt aus einer Tagesschau von 1977, in dem der Gesellschaft die neuen Skateboards als „gefährliche Rollbretter“ vorgestellt werden. Oder einen Babypanda ganz furchtbar niedlich zu finden, weil er plötzlich niesen muss und die gemütlich vor sich hin mampfende Panda-Mama damit ordentlich erschreckt. Oder Oliver Kahn staunend bei gekonnter Rezitation und scharfsinniger Analyse von Rilkes „Der Panther“ zuzusehen.

Oder eben auch: Musikvideos anzuschauen. Wie oft Youtube die Party eines Gastgebers mit grausigem Musikgeschmack rettete, kann nur geschätzt werden. Überall da, wo ein Internetanschluss ist, konnte man also ohne CD-Player Musik hören, und dabei war die Auswahl der Musikvideos größer als die Kapazität jedes mp3-Players mit eingebauter Riesenfestplatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Herumstöbern auf das Video einer tollen unbekannten Band stieß (womöglich das next big thing!), war groß, und so war Youtube nicht nur eine gigantische, überall und immer verfügbare Sammlung von Musikvideos, sondern auch eine Art Sprungbrett.

Warum das alles jetzt nicht mehr so ist, ist eigentlich simpel: Es geht um Geld. Der Lizenzvertrag zwischen Google Deutschland und der Verwertungsgesellschaft Gema lief am 31. März aus. Die Gema vertritt die Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte ihrer Mitglieder und hat die Verantwortung dafür, dass ihre Künstler Geld bekommen, wenn sie im Radio oder im Fernsehen laufen – oder eben bei Youtube. Bis vorgestern war es legal, dass auf der Videoplattform die offiziellen Musikvideos der Gema-Künstler – also fast aller professioneller Musiker in Deutschland – zu sehen waren, weil Google bezahlt hat. Jetzt will die Gema mehr Geld, genauer: 12 Cent für jedes auf Youtube angeklickte Video. „Das können wir uns überhaupt nicht leisten“, sagt Kay Oberbeck, Sprecher von Google Deutschland, der gleichzeitig betont, die Zusammenarbeit mit der Gema sei immer fruchtbar gewesen, man würde sie eigentlich gerne fortführen. Doch nicht zu diesem Preis.

Die Gema gab nach und bot den Preis von 1 Cent für einen Monat an, damit man weiteren Verhandlungsspielraum habe. Doch auch das empfindet Oberbeck als zu teuer. „In England sind vor zwei Wochen aus demselben Grund alle Musikvideos gesperrt worden“, erklärt er, „und da hat das Gema-Pendant PRS nur 0,22 Cent pro abgespieltem Clip gefordert.“ Was Google Deutschland bis vorgestern an die Gema bezahlt hat, wollte Oberbeck gestern nicht sagen. Warum die Gema plötzlich offenbar viel mehr Geld fordert, bleibt unklar. Zu einer Stellungnahme war dort gestern niemand zu erreichen.

Für den Internetnutzer ist das alles gar nicht so schlimm. Längst gibt es Alternativ-Videoportale, und wenn auch dort geblockt wird, bleibt immer noch der Umweg über Internet-Tunnelsysteme in andere Länder, in Musikvideos frei verfügbar sind.

Viel gravierender ist diese Entwicklung für die junge Musikszene. Vom sogenannten Musikfernsehen erwartet sowieso niemand mehr, dass dort Musikvideos gespielt würden, also werden Videoclips erst mal fürs Internet gemacht. Robert Drakogiannakis, Sänger der Kölner Indie-Rock-Band Angelika Express und der deutsche Web-2.0-Musiker, erklärt: „Das ist scheiße. Wir drehen gerade ein Video, relativ aufwendig sogar, und für uns war immer klar, dass das erst mal auf Youtube läuft. Youtube ist für Bands wie uns wirklich wichtig, und wenn das jetzt alles wegbricht, ist das ein empfindlicher Schlag. Das Problem ist aber auch die unfassbar unflexible Gema. Das sind statische Bürohengste, denen alles Neue erst mal auf den Sack geht.“ Wenn sich Google und Gema nicht einigen, wird es in Zukunft keine Internet-Phänomene wie die Arctic Monkeys mehr geben, die nur über Youtube und Mundpropaganda eine komplette Tour ausverkauften – und auf Dauer ist auch das Musikvideo als Kunstform vom Aussterben bedroht.

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