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Archiv-Artikel

Es waren drei Königstöchter im Jugendzimmer

PREMIERE Im Mannheimer Nationaltheater bringt André Bücker Dietmar Daths Roman „Waffenwetter“ auf die Bühne

Man kann im Theater viel lernen. Zum Beispiel, dass 7,83 Hertz die natürliche Frequenz der Erde ist. Das liegt knapp unter dem 8-Hertz-Alphawellenzustand, in dem sich das menschliche Gehirn angenehm entspannt fühlt, während es ab 13 Hertz in Betawellenaufregung und unter 3 Hertz in Tiefschlafdeltawellen verfällt. Es müssen aber tranceartige Thetawellen zwischen 4 und 7 Hertz sein, auf denen die drei Königstöchter in ihren futuristischen Reifröcken hereinschweben, um sich mit puppenroboterartigen Bewegungen aus ihrer winterlichen Daunenbekleidung zu tanzen. Dazu Bühnennebel, blaues Licht, bedeutungsschwerer Sound und ein projiziertes Rauschen, auf das sich der Schriftzug „nach einem wahren geheimnis“ prägt.

Vielversprechend mysteriös läutet André Bücker seine Inszenierung von Dietmar Daths Roman „Waffenwetter“ im Werkhaus-Studio des Mannheimer Nationaltheaters ein. Um dann als Erstes gleich mal die Erwartungen zu enttäuschen. Die gewölbten Projektionswände von Jan Steigerts Bühnenbild schließen und öffnen den Drehbühnenraum wie eine Kapsel, geben im Inneren aber nicht etwa den Blick auf einen Kernreaktor, ein Geheimlabor oder einen Atombunker frei, sondern zeigen ein Jugendzimmerleben. Dieses wird von jenen drei jungen Frauen betrieben, die eben noch so wunderbar seltsam auf die Bühne gekommen sind, nun aber als waschechte Girlies von den Problemen ihrer Adoleszenz berichten. Ein psychologisierendes Jugendstück scheint sich anzubahnen, immerhin liegt ein fröhlicher Hedonismus über dem Geplänkel. Zwar spricht hier in dreifacher Ausführung die Abiturientin Claudia Starik, von Zukunftsängsten oder Leistungsdruck ist jedoch keine Rede. Es geht um nervende Eltern, die Drogentrips der besten Freundin, Jungs, die verbotene Beziehung zum Lehrer und die retrokommunistischen Anwandlungen des reichen Großvaters. Etwas fahrig aufgesagt, klingen die Ausführungen von Daths rauschmonologisierender Protagonistin sehr viel banaler als im Roman, aber die Inszenierung rettet sich mit dem Allheilmittel: Sex. Dafür schließt sich die Kapsel, und die Gesichter der Protagonistinnen erscheinen in übergroßen Nahaufnahmen auf den halbdurchsichtigen Projektionswänden. Erstaunlich sinnlich wirken auf einmal die körperlos mikroportierten Stimmen im Fantasieraum, in dem es erzählend zur Sache geht.

So wie Dath im Roman zwischen den Genres springt, wird auch in Mannheim aus der anfänglichen Jugendpsychokiste ein veritables Theaterexperiment. Störgeräusche, Technomusik, Lichtwechsel, psychedelische Projektionen brechen den temporären Realismus auf. Auf den Punkt gebracht wird die Beunruhigung im sich wiederholenden Tiefensound elektronischer Gitarren. Im Fortgang des Abends erfährt man noch, dass Claudia mit ihrem Verschwörungsopa nach Alaska fährt, um das (tatsächlich existierende) protomilitärische „High Frequency Active Auroral Research Project“, kurz HAARP, zu sabotieren. Dann werden die meisten Wahrheiten existenziell infrage gestellt und die Hauptfigur trifft zwei Inkarnationen ihrer selbst – so macht plötzlich die Dreifachbesetzung auch jenseits des Verfremdungseffektes Sinn.

Daths kraftvolle Hauptmetapher, die riesige Antennenanlage, mit der HAARP angeblich Wetter und Menschen manipulieren kann, haben die Videokünstler Christian Schrills und Tobias Morell in suggestive Bilderbewegungen übersetzt, die immer öfter giftgrün auf den Leinwänden pulsieren, wo auch arktische Winterwälder, Stacheldrahtzaun und Feuersbrünste als Videokulissen auflaufen. Vor allem aber inszenieren diese Bilder eine diffuse, hochästhetische Bedrohlichkeit, die nur gelegentlich von Slapstickeinlagen gebrochen wird. Daths große Politsuaden bleiben in der Theaterversion angenehm randständig, stattdessen konzentriert sich Regisseur Bücker auf das Alptraumwandlerische und die „Lear“-Anspielungen, die Dath in seinen Text gesponnen hat und die auf der Bühne wesentlich mehr Schlagkraft entwickeln. Das liegt nicht zuletzt am spielwütigen Mannheimer Frauenkommando (Isabelle Barth, Ines Schiller und vor allem Dascha Trautwein), das als physischer Ausdruck des surrealen Bewusstseinsstroms, der das Stück vorantreibt, überzeugt. Das „wahre geheimnis“ lösen weder Dath noch Bücker auf, aber man darf vermuten, dass es irgendwo zwischen Ideologieverlust, Radiostrahlung und Telepathie zu finden ist. Man müsste eben nur wissen, auf welcher Frequenz es funkt. KRISTIN BECKER