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„Voller Hass auf das sadistische Über-Ich“

PSYCHOANALYSE Der Freiburger Therapeut Gehad Mazarweh möchte die arabische Welt auf die Couch legen: ein Gespräch über rebellierende Jugendliche in Tunesien und machtlose Väter

Gehad Mazarweh

■ Werdegang: Mazarweh wurde 1941 in Taibeh/Israel geboren und ist seit 1948 israelischer Staatsbürger. Sein Studium der Psychologie, Soziologie und Kriminologie absolvierte er an der Universität Freiburg.

■ Lehre: Er ist Freier Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht, Abteilung Kriminologie, und hat Lehraufträge sowohl an der katholischen als auch an der evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen.

■ Therapie: Seit 1976 hat er eine psychoanalytische Praxis, seit 1999 ist er Dozent und Supervisor am Psychoanalytischen Seminar Freiburg (DPV), seit 2000 Dozent, Supervisor und Lehrtherapeut an der psychosomatischen Abteilung der Medizinischen Fakultät der Uni Freiburg.

■ Engagement: Seit 30 Jahren in der Friedensbewegung, Mitbegründer der jüdisch-palästinensischen Gesprächsgruppe in Basel/Freiburg, leitet den Arabisch-Deutschen Kulturverein Freiburg.

INTERVIEW EDITH KRESTA

taz: Herr Mazarweh, in Tunesien hat die Jugend an vorderster Front den Aufstand nicht nur geprobt, sondern vorerst auch umgesetzt. Sie sind Psychoanalytiker – ist dies eine Revolte gegen die Väter?

Gehad Mazarweh: Auch. Sie rebellieren gegen die angepassten Väter, die Teil des Polizeistaates sind und mit denen sie sich nicht identifizieren können. Es gibt aber auch keinen anderen Weg, als sich über den Kampf zu befreien. Das ist schmerzhaft und mit vielen Verlusten verbunden. Doch ansonsten ist die soziale Katastrophe in der arabischen Welt vorprogrammiert. Sie müssen gegen die Despoten kämpfen. Ohne Rebellion gegen die Väter gibt es keinen Fortschritt.

Warum ertragen so viele Menschen in der arabischen Welt diese aussaugenden Tyrannen?

Wer als Untertan erzogen wurde, der hat gelernt, zu schweigen und zu akzeptieren. Diese Führer von Syrien bis Tunesien sind selber Untertanen. Sie haben die gleiche Störung. Fast alle arabischen Führer sind politische Eunuchen. Sie sind nicht fähig und in der Lage, aus Selbstachtung ihre Völker zu respektieren. Sie gehen mit der Bevölkerung und dem Land um, als seien sie die Besitzer. Ich wage eine Verallgemeinerung: einem Volk, das solche Erniedrigung akzeptiert, mangelt es an Selbstachtung. Und durch den Tribalismus ist keine Solidarität möglich.

Überall in der arabischen Welt nur gebrochene Patriarchen?

Ja. Der arabische Mann ist in vielen Lebensbereichen gescheitert. Auf der politischen Ebene und im privaten Bereich. Aber er realisiert das nicht. Sehen Sie doch, was die arabischen Völker alles in Kauf nehmen. Welche Unterdrückung und Korruption! 380 Millionen Araber mit einem unvorstellbaren Reichtum und mindestens dreißig Prozent davon übernachten hungrig. Wie kann das sein? Warum ertragen sie diese Erniedrigung, diese Entwertung ?

Hierzulande fürchtet man vor allem gewaltbereite arabische Jungmänner. Ist das ein Widerspruch?

Das ist ganz furchtbar. Die Jugendlichen kommen in meine Praxis voller Hass auf ihre unfähigen Väter. Und da sie ihren Vater nicht überwinden können, verschieben sie die Aggressivität nach außen. Deshalb ist die Aggressivität so heftig. Man muss ihnen helfen. Ich hoffe, dass man in Deutschland endlich begreift, dass diese Gewaltterroristen, diese Scheintäter gegen ihre gescheiterten Väter rebellieren.

Warum sind diese Väter gescheitert?

Die Jugendlichen hier in Deutschland können ihre arbeitslosen, untätigen Väter, die man nicht mehr braucht oder nie wollte, nicht akzeptieren. Aber sie wollen sich mit Männern identifizieren – und ihre Väter haben keine Vorbildfunktion. Diese Männer haben ihre Funktion als Patriarchen längst verloren und klagen sie trotzdem dauernd ein.

Sie selbst sind Palästinenser – arabische Studenten Ihrer Generation, die nach Europa kamen, sollten nach dem Willen der Väter Ärzte, Ingenieure oder Anwälte werden, nicht aber Psychoanalytiker, oder?

Ich bin eigentlich Papiertechniker und kam nach Deutschland, um mein Ingenieursstudium zu beenden. Während des Studiums habe ich festgestellt: ich bin ein schlechter Ingenieur und habe damit aufgehört, ohne meine Familie zu fragen.

Mutig.

Ich habe einen heimlichen Kompromiss mit meinem Vater geschlossen, von dem er nichts wusste. Ich habe Psychologie, Soziologie, Kriminologie und Strafrecht studiert – und ein bisschen Medizin. Ich wollte kein Mediziner werden, also kein Organmediziner. Das ist mir zu eng. Ich möchte kreativ sein. Dann habe ich die psychoanalytische Ausbildung gemacht und eine sehr, sehr lange Selbstanalyse. Freiwillig, weil ich mir meiner starken Konflikte bewusst wurde.

Wurden Sie westlich erzogen?

Nein. Sehr traditionell. In meinem Geburtsort, im palästinensischen Taibe, gab es zehntausend Menschen mit meinem Familiennamen, Mazarweh – mein Vater und mein Onkel waren jedoch die charismatischen Figuren. In der arabischen Kultur hat der Patriarch eine absolut dominierende Rolle. Wir Araber verfügen sozusagen über ein rigides Über-Ich, das uns jede Art von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit erschwert. Viele Jungen werden geschlagen, damit aus ihnen tapfere Männer werden. Stets sind sie autoritärem Zwang ausgesetzt.

Sie auch?

Ja. Als ich hierher kam, hatte ich psychosomatische Störungen, Magenprobleme, wie viele Ausländer.

Verursacht durch ödipale Konflikte?

Tatsächlich spielen ödipale Geschichten bei arabischen Patienten meist eine viel größere Rolle als bei Europäern. Der ödipale Konflikt ist mit Schuldgefühlen besetzt. Würde der Sohn den ödipalen Kampf gewinnen, käme er an Schuldgefühlen um. Ich hänge sehr an meiner Mutter. Eigentlich ist meine Mutter die Orientierung in meinem Leben gewesen.

Aber die Moral Ihres Vaters galt?

Ja. ich habe sehr früh gegen ihn rebelliert, und wissen Sie, wie? Ich habe mit elf Jahren meinem Vater gesagt: Ich möchte kein Taschengeld von dir haben. Dann habe ich mit dem Geld meiner Tante eine Henne gekauft, mit dem Geld von den Eiern der Henne habe ich noch eine Henne gekauft. So habe ich mich befreit. Die Auseinandersetzungen mit meinem Vater waren immer sehr heftig. Und ich glaube, dass ich das Land verlassen habe, hat auch mit ihm zu tun – neben dem alltäglichen Rassismus in Israel.

Ihnen blieb nur die Flucht?

Ich konnte mit dieser Diskriminierung und Demütigung nicht umgehen. In Europa machte ich dann die Erfahrung – ich habe zunächst in Basel studiert –, dass Rassismus und Diskriminierung überall zu finden sind. Wer seine Freiheit liebt, wer Selbstrespekt und Selbstachtung hat, muss dagegen kämpfen, egal wo. Ich habe mich deshalb in der internationalen Friedensbewegung engagiert. Durch die Analyse habe ich mich auf eine Art und Weise entdeckt, die ich jedem nur wünschen kann.

Das klingt wie eine Liebeserklärung an die Psychoanalyse.

Auf jeden Fall. So viel innere Freiheit zu erlangen und mich heute auf einem internationalen Feld zu bewegen, das hätte ich ohne Analyse nie geschafft. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Psychoanalyse etwas Großartiges ist.

Wie kamen Sie zu Freud?

Schon mit vierzehn Jahren habe ich Teile von Freuds Traumdeutung gelesen.

Woher hatten Sie das Buch?

Es lag in einer Buchhandlung im palästinensischen Taibe, meinem Heimatsort.

In englischer Sprache?

Nein, auf Arabisch. Die meisten Bücher von Freud sind auf Arabisch übersetzt. Wir haben in der arabischen Kultur eine lange Geschichte der Traumdeutung. In der arabischen Geschichte war Traumdeuter ein Beruf. Er musste Mathematik, Philosophie und mehr als eine Sprache gelernt haben. Und der Prophet Mohammed war der größte Traumdeuter, den man kennt. Er saß mit seinen Begleitern und sie haben über Träume gesprochen. Natürlich ist meine Traumdeutung als Psychoanalytiker eine andere als die koranische. Weil wir die Pathologie im Auge behalten. Ich bin sehr früh Freudianer geworden.

Steht Ihnen nicht C. G. Jung, der Begründer der analytischen Psychologie, viel näher?

Eigentlich ja. Ich bin sicher, meine Faszination für Freud hat mit dem zu tun, was ich in Europa erfahren habe, mit Semitismus und Antisemitismus. Und das ist Teil meiner eigenen semitischen Identität.

Sie identifizieren sich als Muslim mit Freud, der Jude war?

Ja. Und ich sehe seine Lehre auch als Teil der Ausgrenzung, die er selbst erfahren hat. Seine Zugehörigkeit zu einer Minderheit, der man alles an Bösem unterstellt. Auf die man das eigene Fremde, Hässliche ablädt.

Fühlen Sie sich in Deutschland integriert?

Sehr. Ich habe dem Land meine Frau, meine drei Söhne und meinen Beruf zu verdanken. Ich bin Araber und Muslim und ich kenne viele Muslime, die hier gut integriert sind. Aber wenn man immer wieder pauschal hört, dass sie nicht integriert sind, dann wirkt das verstörend, abweisend. Das ist rassistisch und unverantwortlich. Man spricht sehr viel über Integration und tut wenig dafür.

Apropos Pauschalisierung: Es heißt sogar, die Araber litten insgesamt unter Paranoia. Was sagen Sie dazu?

Ja, das ist die Paranoia, über die wir nicht gerne reden. Diese Leute träumen von Andalusien, das schon lange nicht mehr existiert, aber wer in der Vergangenheit lebt, hat keine Gegenwart, und wer keine Gegenwart hat, der hat auch keine Zukunft. Die arabische Paranoia geht so: einer fühlt sich verfolgt und verfolgt seine angeblichen Verfolger – so entsteht ein Kreis. Das Allerschlimmste ist: wenn sich die Menschen an ihre Pathologie gewöhnen und glauben, das ist die Realität.

Es gibt keine Selbstkritik?

Die Menschen haben Probleme, zwischen Kritik und Beschimpfung zu unterscheiden, das ist ein narzisstisches Problem. So entstehen Verleugnung und Projektion.

Das bedeutet, Lüge und Realität sind irgendwann nicht mehr zu unterscheiden?

Ja, das ist schon faszinierend. Wissen Sie, es gehört viel Mut dazu anzuerkennen, dass man ein Problem hat. Aber in einer Gesellschaft, wo der Makel Strafe hervorruft, ist es fast unmöglich, darüber zu sprechen. Deshalb fürchten sich viele arabische Männer vor der Psychoanalyse und nicht, wie Margarete Mitscherlich Ihrer Zeitung sagte, wegen ihrer Kultur und Religion.

„Ich glaube, traditioneller Islam und Psychoanalyse, das ist wie Feuer und Wasser. Eine Psychoanalyse, wo Sie alles in Frage stellen, Ihre Motive untersuchen – das ist ohne Aufklärung nicht möglich“, sagt Margarete Mitscherlich vor Kurzem in einem sonntaz-Interview.

Ich habe arabische Christen in Behandlung. Ich habe Türken, ich habe tiefreligiöse Süditaliener. Die Religion als Hindernis für eine Analyse zu betrachten, finde ich sehr problematisch. Ich habe drei Söhne, alle drei sind unterschiedlich. Aber die muslimischen Frauen sollen alle gleich sein? Frau Mitscherlich, die ich kenne und sehr schätze, verallgemeinert. Und das ist das, wovor wir in der Psychoanalyse immer warnen.

Sie spricht von Aufklärung, Individualisierung, Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung. Werte, die in einer Clangesellschaft wenig bedeuten.

In einem Punkt haben Sie recht: Eigentlich haben wir – die Araber – nie aufgehört, Beduinen zu sein. Der Wert eines Individuums ist also abhängig von seiner Sippe. Sie gibt ihm Bedeutung, Schutz und sonstige Privilegien. Wenn wir von Interessen reden, dann geht es immer um die Interessen des Stammes. Individualität darf dieses Gemeinschaftsgefühl nicht gefährden.

Wenn also eine Frau aus diesen alten Strukturen zur Analyse kommt, was ist dann Ihr Therapieziel?

Ihr Selbstwertgefühl zu stärken.

Das Selbstwertgefühl der Männer erscheint auch nicht besonders stark.

Die autoritäre Erziehung schwächt das Bewusstsein der Männer und beeinträchtigt ihr Selbstwertgefühl. Die meisten dieser Männer leben mit einem falschen Selbst. Sie sind ständig damit beschäftigt, so zu tun, als seien sie auf dem richtigen Weg. Sie wollen immer das tun, was man von ihnen erwartet. Sie wissen nie, was diese Leute denken, weil sie sich aus Angst immer anpassen und damit scheitern.

Schuld ist das rigide Über-ich?

Ja. Das ist so sadistisch, dass diese Leute dem Über-ich folgen müssen, um ihre Ruhe zu haben. Dabei bringt jeder Kompromiss mit dem Sadismus des Über-Ichs überhaupt nichts. Das Über-ich fordert nur immer mehr. Es ist unersättlich.

Haben Sie Ihr Über-Ich in seine Schranken verwiesen?

Die Auseinandersetzung mit meinem Über-Ich war außerordentlich heftig. Und ich glaube, ich habe in vielen Beziehungen gewonnen.

Analyse-Glossar

Über-Ich: Moralische Instanz (Gewissen), das in der frühen Kindheit, bis zum 6. Lebensjahr, gebildet wird. Es beinhaltet die Normen und Wertvorstellungen der kulturellen Umgebung, in der das Individuum aufwächst. Insbesondere die der Eltern.

Ödipus-Komplex: Unbewusst richten sich die sexuellen Wünsche des Kindes auf den Elternteil entgegengesetzten Geschlechts und parallel wird gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, den es als Rivalen betrachtet, Eifersucht und Hass empfunden. Jungen entwickeln in Folge Schuldgefühle und eine schleichende Angst vor Bestrafung durch den Vater.

Übertragung: Bezeichnet den Vorgang, dass ein Mensch alte – oftmals verdrängte – Gefühle, Affekte, Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen aus der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt und reaktiviert. In der Psychoanalyse häufig auf den Therapeuten.

Und können Sie nun mit Freud die arabische Psyche erreichen?

Mit seiner Lehre vom Unbewussten, ja. Die meisten meiner Patienten waren bis vor circa zehn Jahren Europäer. Es ist relativ neu, dass ich nun auch mit vielen muslimischen Patienten arbeite, vor allem mit muslimischen Frauen, die aus Verzweiflung nicht mehr wissen, wohin. Ich habe Erfolge mit arabischen Patienten, die mich glücklich machen.

Es kommen also mehr Frauen als Männer zu Ihnen?

Ja. Und wissen Sie, wenn eine Frau trotz ihrer Ängste und Schamgefühle anfängt, über ihr Verhältnis zur Sexualität und die familiären Verhältnisse zu sprechen, dann ist das eine große Leistung. Die Männer spielen zwar den Macho, aber hinter dieser Fassade sind sie oft wie ausgehöhlt und haben große Ängste. Ich habe bislang wenige arabische Männer gehabt, die eine Behandlung zu Ende geführt haben – im Gegensatz zu den Frauen. Die Frauen haben eine größere innere Freiheit.

Muss man die Kultur eines Patienten kennen, um sein seelisches Leiden zu behandeln?

Nein. Es ist aber gut, wenn man eine Vorstellung von der Kultur hat. Die gemeinsame Erfahrung hilft, etwas besser zu verstehen.

Formt Kultur nicht auch das jeweilige Leid?

Die Inhalte des Leids sind sich überall ähnlich, aber es gibt unterschiedliche Formen, dies auszutragen.

Aber eine andere Kultur prägt doch andere Persönlichkeitsstrukturen?

Vielleicht die Charakterstruktur, aber es macht bescheiden, wenn man erfährt, dass der Unterschied zwischen einem Afrikaner und einem Finnen im Leiden nicht groß ist. Ich habe einen afrikanischen Politiker behandelt, der nach politischen Unruhen in seiner Heimat fliehen musste, und in der Stunde nach ihm kam ein Skandinavier. Manchmal waren die Geschichten zum Verwechseln ähnlich. Der eine spricht über Schlangen, der andere über Elche. Aber wenn Sie in die psychoanalytischen, seelischen Strukturen gehen, ist die Ähnlichkeit frappierend. Auch die Symbolik von Märchen, von Mythologien hat sehr große Ähnlichkeit.

Wie verhält es sich bei der Übertragung, also der unbewussten Umlenkung von Gefühlen auf den Analytiker – gibt es da bei muslimischen Patienten andere Muster?

Das ist etwas anderes. Das findet zwischen mir und meinen südländischen Patienten stärker statt. Das ist sehr wichtig. Das kann manchmal sehr heftig sein, was mir nicht fremd ist, weil unsere Gefühlsäußerungen diese Heftigkeit haben. Es ist faszinierend, was an Gefühlen entsteht, von denen die Leute nicht gewusst haben.

Alles, was Sie sagen, klingt, als ob die „arabische Seele“ an sich krank sei.

Die Entwicklung in Teilen der arabischen Welt ist so schnell gegangen, dass die Leute geistig und psychisch nicht mitkommen. Um diese Kluft zu überwinden, übernehmen sie unreflektiert die westliche Kultur. Und der Größenwahn dabei, der eigentlich aus einem Gefühl der Minderwertigkeit resultiert, ist so ausgeprägt, dass vieles von dem, was sie tun, letztlich einfach nur unüberlegte Nachahmung ist.

Und das wollen Sie mit Hilfe der Psychoanalyse ändern?

Was wir brauchen, ist eine revolutionäre Psychoanalyse. Eine, die Menschen hilft, sich zu befreien.

Psychoanalyse ist doch nicht revolutionär. Hilft sie nicht eher, sich besser anzupassen?

Eine Analyse, die einseitig zu Anpassung führt, ist meines Erachtens problematisch. Die Psychoanalyse ist ein Instrument, das wir auf individueller Ebene benutzen können, mehr nicht. Ich will die Psychoanalyse nicht entwerten. Ich bin leidenschaftlicher Psychoanalytiker, aber in den nächsten Jahren brauchen wir in der arabischen Welt Tausende von Therapeuten, weil das soziale Gefüge zusammenbricht. Und wir brauchen neue Behandlungsansätze: Ich kann doch eine Landfrau aus Marokko nicht bitten, sich auf die Couch zu legen, das ist für sie unanständig. Wir brauchen Fachleute, die eigene Methoden entwickeln und den Leuten beibringen, dass es so etwas wie Menschenwürde gibt.

Wer hat ein solches Potenzial?

Die arabische Welt kann nur durch eine starke Beteiligung von Frauen zur Emanzipation auf allen Gebieten gelangen. Nur selbstbewusste Mütter können Jungen zu selbstbewussten Männern erziehen.

Edith Kresta, Jahrgang 1954, ist taz-Redakteurin und lebt in Berlin

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