: Der Markt in Schilda
KONKURRENZ Effizienzdenken macht freudlos. Zudem produziert es Unsinn, beweist Mathias Binswanger
Unter Marktbedingungen hat der Wettbewerb seine positiven Seiten. Wo blieben technischer Fortschritt und Weitergabe von Kostenvorteilen an den Endverbraucher ohne ihn? Wettbewerbe können jedoch auch ein sinnkonträres Eigenleben führen. Diesem Phänomen ist der habilitierte Volkswirt Mathias Binswanger nachgegangen.
Zur Einstimmung gibt es Heiteres aus Schilda, wie etwa den von Tony Blair persönlich inszenierte Knöllchen-Wettbewerb britischer Parkwächter, dem schließlich Busse an regulären Haltestellen zum Opfer fielen. Binswanger geht der Frage nach, ob Wettbewerbsillusion nicht vor allem eine Messbarkeitsillusion ist. Tatsächliche Qualität, so der Autor, ist in ihrer Ganzheitlichkeit nicht objektiv messbar. Man kommt ihr nicht durch eine immer neue, in klangvolle Anglizismen gekleidete Controlling- und Kennzahlenwut auf die Spur.
Was geschieht, wenn der Wettbewerbsgedanke dort kultiviert wird, wo er Binswanger zufolge nicht hingehört? So haben etwa die Exzellenzwettbewerbe um Fördergelder im Hochschulwesen zu einer Art akademischer Prostitution geführt, worunter Binswanger unter anderem die belegbar angestiegene Publikationsflut in Fachzeitschriften versteht. Wirklich neue Erkenntnisse vermag er darin wenige auszumachen, wohl aber in komplexe Modellformen gegossene Banalitäten. Dies bietet immerhin Möglichkeiten für strategisches, soll heißen gegenseitiges Zitieren, mündet doch neben anderen „Messbarkeiten“ auch die Publikations- und Zitierhäufigkeit in eine Art Ranking ein, mit dem die Götter der Mittelvergabe gnädig gestimmt werden sollen. Dass gerade in Zeiten übervoller Seminare akademisches Personal sich somit selber zweckentfremdet, mutet einigermaßen klar an.
Auch der Gesundheitssektor kriegt sein Fett. Mit der Zauberformel „Pay for Performance – P4P“ sollen tüchtige Praxisärzte für erfolgreiche Behandlungen belohnt werden. Spätestens seit dem Pilotmodell der AOK Bayern deutet sich an, dass es mit verlässlichen Erfolgsindikatoren nicht allzu weit her ist, hängt doch der Behandlungserfolg zu sehr von speziellen Charakteristika der Patienten ab. Was dagegen schon Jahre zuvor nachgewiesen werden konnte, war, dass teilnehmende Ärzte dazu neigen, gewisse Korrekturen der Realität vorzunehmen. Mit der Aufblähung von Diagnose und Symptomatik lassen sich auch Therapieerfolge schönen.
Vereinzelt kommt es zu Porösitäten, wenn Binswanger beispielsweise der Fallpauschale im Krankenhauswesen ankreidet, lediglich einen Teil der Gesundheitskosten von der stationären in die ambulante Behandlung zu verschieben, wo ebendies doch genau kostendämpfender Zweck der Übung war. Insgesamt liest sich die Mixtur aus Alltagsverstand und belegender Empirie jedoch recht anregend, zumal der Autor auch im Bildungswesen leistungsgesellschaftliche Holzwege aufspürt und so allmählich Breitenwirkung erzielt. Es ist eine Streitschrift gegen eine grenzenlose Wettbewerbseuphorie und ein Plädoyer für mckinseyfreie Zonen, wenn es um Güter des Gemeinwohls geht. MICHAEL LÖSCH
■ Mathias Binswanger: „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“. Herder Verlag, Freiburg 2010, 19,95 Euro