Lückenhafte Ermittlungen

Strafverteidiger fordern ein unabhängiges Ermittlungsinstrument, wenn es um den Vorwurf der Körperverletzung im Amt geht: Allzu oft stellten Staatsanwaltschaften Verfahren gegen Polizisten ein

Vorliegendes Videomaterial sei nicht ausgewertet worden, sagt Rechtsanwalt Meyer

VON KAI VON APPEN

Polizeigewalt gegen Menschen bleibt in Hamburg fast durchweg ohne Folgen – das belegen sogar die Angaben des Senats. Immer häufiger allerdings kommt es auch dazu, dass die Opfer solcher Körperverletzungen im Amt ihrerseits mit Strafverfahren überzogen werden – als Retourkutsche. „Jedes Verfahren wird mit der notwendigen Objektivität und Distanz bearbeitet“, beteuert Wilhelm Möllers, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Dagegen sagt der Hamburger Rechtsanwalt Marc Meyer, das System aus dem polizeilichen Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) und der Staatsanwaltschaft habe sich als ungeeignet erwiesen: „Hamburg braucht daher unbedingt ein unabhängiges Untersuchungsgremium mit eigenen Ermittlungskompetenzen.“

Damit greift der Jurist eine aktuelle Forderung von Amnesty International auf. Meyer vertritt gleich zwei Mandanten, in deren Fällen er der Anklagebehörde vorwirft, nicht „ernsthaft und lückenlos“ ermittelt zu haben: Da gibt es etwa den 36-Jährigen, dem bei einer Demonstration im Dezember 2007 durch einen Schlag gegen den Kopf ein Ohr halb abgerissen worden ist. Zwar habe das DIE habe durchaus sorgfältig vorermittelt, dass 120 Berliner Polizisten im Einsatz waren, sagt Meyer. Jedoch habe die Anklagebehörde es dann nicht für notwenig angesehen, auch zu klären, welche Einheit zum Zeitpunkt der Attacke am Tatort im Einsatz war. Und so wollte man das Verfahren einstellen – der Täter sei nicht zu ermitteln. Sogar vorliegendes Videomaterial wurde Meyer zufolge nicht ausgewertet.

Härter trifft es noch Meyers 31-Jährige Mandantin, die damals wegen versuchter Gefangenenbefreiung festgenommen wurde und dabei einen Schlag auf das Nasenbein bekommen hatte. Erst nachdem „Spiegel TV“ das Geschehen dokumentiert hatte, wurde gegen die Frau ein Verfahren wegen Widerstands eingeleitet. Inzwischen ist das Verfahren gegen die Polizisten wegen Körperverletzung eingestellt worden: Meyers Mandantin habe „die Schmerzen als Folge des polizeilichen Handelns zu dulden“, hieß es zur Begründung. Zudem wurde ein Verfahren wegen „Vortäuschung einer Straftat“ eingeleitet.

So etwas erlebt auch der Anwalt Jürgen Schneider: Er vertritt den exiliranischen Schriftsteller Farydon Salak-Gilani, der am Abend jener Demonstration Festnahmen von Protestlern beiwohnte. Plötzlich wurde das PEN-Mitglied von einem Polizisten am Kopf gepackt und zu Boden gebracht. Zwar ist dieses Verfahren gegen die Polizisten noch nicht eingestellt worden, dafür sollte sich der 70-jährige Gilani eigentlich am heutigen Freitag vor dem Amtsgericht verantworten – wegen Widerstands. Nur weil ein Zeuge bekundet hat, „aus heiteren Himmel“ habe „der Polizist“ auf den Schriftsteller eingeschlagen, setzte die Amtsrichterin das Verfahren Donnerstag Mittag aus.

Auch Andreas Beuth vertritt eine Mandantin, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Schanzenturm-Hotel wegen Hausfriedensbruch angezeigt und bei ihrer Festnahme verletzt worden war; vier Zeugen bestätigen,dass es zu keinem Hausfriedensbruch kam und nur zwei der acht eingesetzten Polizisten bekunden diesen. Trotzdem ist das Körperverletzungs-Verfahren gegen die Beamten eingestellt worden – und ein Verfahren gegen die Frau eröffnet. Zwar räumt die Staatsanwältin ein, dass es keine unparteiischen Zeugen gebe, aber dennoch den Angaben der Polizisten glaube. Die seien „auch nicht neutral“, sagt Anwalt Beuth, aber ihnen werde geglaubt.

„Es kann kein Staatsanwalt willkürlich Verfahren einstellen, da dem Verletzten stets eine Überprüfung möglich ist“, beteuert GAL-Justizsenator Till Steffen. Das wird Beuth tun: Er leitet derzeit ein Klageerzwingungsverfahren ein.