: Erster Wortbruch
LÜGEN Merkel hat stets auf das CDU-Programm verwiesen. Von einer Kopfpauschale stand da nichts
BERLIN taz | Die Antwort, die Angela Merkel gab, ließ wenig Raum für Interpretation. Es war Freitag, der 18. September, Tag neun vor der Bundestagswahl. Die Kanzlerin war in die Bundespressekonferenz gekommen, um Journalistenfragen zu beantworten. Bekanntlich plane die FDP, Sozialsystem zu privatisieren und den Gesundheitsfonds abzuschaffen, sagte ein Kollege: „Könne Sie den Bürgern versichern, dass sich die FDP in diesen Punkten definitiv nicht durchsetzen wird?“
Merkel reagierte prompt. „Ja, das kann ich“, erwiderte sie. Im Regierungsprogramm stehe, was die CDU verändern wolle. „Das, was darin nicht steht, wollen wir auch nicht verändern.“ Von der Kopfpauschale ist in dem Dokument jedoch nicht die Rede. „Unser Ziel ist es, die Finanzierbarkeit der gesundheitlichen Versorgung zu sichern“, heißt es dort nur kryptisch.
Mit der geplanten Einführung der Kopfpauschale bricht Merkel also klar ein Wahlversprechen. Das Modell war neben der Einfachsteuer einer der beiden zentralen Programmpunkte, mit denen sie auf dem Leipziger Parteitag 2003 den Abschied vom überkommenen Sozialstaat westdeutscher Prägung vollziehen und eine „neue“ soziale Marktwirtschaft etablieren wollte. Schon damals handelte sie sich aber viel Ärger ein, weil der nötige Sozialausgleich bei der Kopfpauschale mit den damals schon geplanten Steuersenkungen nicht harmonieren wollte.
Neben Kirchhofs Steuerplänen war die Kopfpauschale das Einfallstor für den Wahlkampf des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), der Merkel fast die Kanzlerschaft gekostet hätte. Mit Bedacht mied die CDU das Wort seither in allen offiziellen Dokumenten. Erst nach der Wahl taucht es nun wieder auf – nicht zuletzt auf Druck der FDP, deren Ideen eine sozialpolitisch verschämte CDU bei den Koalitionsverhandlungen keine eigenen Konzepte entgegensetzen konnte.
Es kann sein, dass die Finanznot im Gesundheitswesen tatsächlich einen Systemwechsel erzwingen wird. Genauso gut kann es aber auch sein, dass die Kopfpauschale erneut an den Finanzproblemen bei Steuerausgleich scheitert. Dann hätte Merkel gleich zweimal ein Versprechen gebrochen: Erst die Aussage im Wahlkampf, dann den Koalitionsvertrag. RAB