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Archiv-Artikel

„Zukunft in blühendsten Farben“

MUSIKTHEATER Im März präsentiert das Kommando Himmelfahrt sein Projekt „Utopia“ zur Eröffnung der Internationalen Bauausstellung. In der taz erklären Jan Dvorak und Thomas Fiedler, worum es geht

Kommando Himmelfahrt

■ ist als Gruppe vor fünf Jahren vom Hamburger Komponisten Jan Dvorak und dem Berliner Regisseur Thomas Fiedler initiiert worden und beschäftigt sich mit einer Mischung aus selbst entwickelten zeitgenössisch-avantgardistischen Kompositionen, Popmusiktheater, Performances und Konzerten mit Grenzbereichen politischer und wissenschaftlicher Utopie.

INTERVIEW ROBERT MATTHIES

taz: Thomas Fiedler und Jan Dvorak, Sie bespielen mit Kommando Himmelfahrt im März die Eröffnung der Internationalen Bauausstellung. Wie ist das Projekt entstanden?

Thomas Fiedler: Wir sind von Amelie Deuflhard von Kampnagel nach „Leviathan“, in einer Phase, wo wir uns verstärkt mit Staatstheorie beschäftigt haben, gefragt worden, ob wir Ideen für ein Projekt im Zusammenhang mit der IBA hätten. Es war erst mal eine allgemeine Herangehensweise, es gab viele Themenüberschneidungen und Fragen, die uns interessieren. Wir waren dann bald beim Thema der Utopie, weil da immer ein architektonischer und städtebaulicher Aspekt drinsteckt. Nach den ersten Ideen kam der Kontakt zur IBA zustande, die schlugen vor, das mit der Eröffnung zu verbinden. Es ist ein Projekt, das jetzt beginnt, weitergeht und mit einem Film und einer CD endet.

Was passiert heute auf Kampnagel?

Thomas Fiedler: Es ist kein Theaterfake, es sind tatsächlich Filmaufnahmen. Wir haben zwei Aufführungstage, die auch Aufnahmetage sind. Das ist das Material für den zweiten Teil, der in den IBA-Gebäuden stattfinden wird. Auf Kampnagel erträumen wir Utopia, bei der IBA sind wir auf Utopia.

Sie machen schon länger Utopieforschung als Musiktheater. Wie entwickelt „Utopia“ bestehende Fragen weiter?

Jan Dvorak: Es ist tatsächlich fast wie eine Fortsetzung. Bei „Socrate“ haben wir uns mit der Tugendlehre des Sokrates auseinandergesetzt, das strahlt zwar schon ins Gesellschaftliche aus, ist aber noch eine Frage, die sich das Individuum allein stellt. „Leviathan“ war das Gegenprogramm, Staatstheorie, mit dieser abstrakten Idee des Gesellschaftsvertrages, von dem man nicht genau weiß, wann er geschlossen worden sein soll, eigentlich ein mythischer Vorgang. Morus’ „Utopia“ entstand 100 Jahre früher, für uns war es aber der nächste Schritt: Wenn der Staat dem Einzelnen ermöglicht, sich um mehr zu kümmern als um seine Verteidigung und seinen Nahrungserwerb, dann hat er die Möglichkeit, weiterzudenken, Wünsche zu äußern für ein Leben, das darüber hinausgeht. Für uns wird es zunehmend interessant, Zukunftsfragen zu stellen und sie im Rückgriff auf erste Formulierungen dieser Problematik zu untersuchen. Ein futurologisches Interesse, mit Stanislaw Lem gesprochen, zu verknüpfen mit einer Forschung in der Dunkelheit des Barock, der Renaissance oder der Antike.

Utopia in Wilhelmsburg, da hat sich einiges verändert, es gibt Gleichberechtigung, Patchwork-Familien und eine „Kuppel“ als alles umfassende Wesenheit aus Information.

Thomas Fiedler: Thomas Morus hat in seinem Roman mit Mitteln operiert, die damals bekannt waren, hat keine Ufos erfunden, sondern aus seiner Realität heraus für den Menschen eine Konstruktion entwickelt. Wir haben versucht, ähnlich vorzugehen, vorhandene Strukturen weiterzudenken …

Jan Dvorak: … und zugleich die Ideen und Themenbereiche Morus’ als Grundlage zu nehmen.

Thomas Fiedler: Wenn bei Morus beim Frühstück lexikalische Werke vorgelesen werden, dann ist es hier eine weiterentwickelte Informationstechnologie, die das Wissen zur Verfügung stellt.

Jan Dvorak: Wenn Morus Bildung für alle Volksschichten und für Männer wie Frauen gleichermaßen zu jeder Tageszeit zur Verfügung stellt, dann ist das eigentlich schon die Idee eines universell verfügbaren Wissens für alle. Nur eben mit den Mitteln der Zeit, mönchisch gedacht. Wir haben versucht, bei der Bearbeitung dicht an Morus’ Ideenwelt zu bleiben. Auch da, wo sie einem nicht behagt: Um diese Harmonie auf Utopia zu erzeugen, braucht er relativ viel Kontrolle.

Thomas Fiedler: Eine Frage, die das Buch und das Projekt als Ganzes aufwirft, ist auch diese Diskrepanz: Ist im perfekten Staat die individuelle Freiheit wirklich möglich oder ist sie Störelement? Das ist ein Widerspruch, der in Utopia nicht existiert.

Knüpfen Sie an den satirischen und kritischen Aspekt von Morus’ „Utopia“ an?

Jan Dvorak: Wir haben einen Weg gewählt, der affirmativ ist. Wir stellen die mögliche Zukunft in blühendsten Farben dar und überlassen es dem Publikum, das satirisch oder als Wunschphantasie zu sehen. Weil es für uns auch eine Sache ist, die wir gar nicht entscheiden wollen. Wir haben bewusst die Rahmenhandlung dringelassen, wo Morus selbst auftritt und die skeptischsten Fragen von allen stellt. Es ist für uns immer interessanter, Dinge nebeneinander hinzustellen, klar zu zeichnen, was sie darstellen, und die Bewertung offenzulassen.

Thomas Fiedler: Am Ende des Buches sagt Raphael Hythlodeus, dieser fiktive Reisende, dass es nicht seine Sache ist, zum Berater von Politikern zu werden und er den Bericht über Utopia so wahrheitsgemäß wie möglich wiedergegeben und damit auch alles gesagt hat. Die Frage der Beurteilung stellt sich für Politiker, Architekten, Städteplaner.

Jan Dvorak: Man hat viel über das emanzipatorische Potenzial von Kritik nachgedacht, das ist auch wichtig. Aber es besteht auch ein enormes emanzipatorisches Potenzial darin, Wünsche zur formulieren. Hinter jeder Kritik steckt ein unausgesprochenes Ideal und es ist interessant, dieses Ideal zu befragen oder danach zu suchen.

Wie sah die Auseinandersetzung mit der IBA aus?

Jan Dvorak: Die ist intensiv gewesen, wir haben Investoren kennengelernt, hatten viele Vorbesprechungen, haben viele Führungen gemacht, Informationsmaterial durchgearbeitet. Auch die zukunftsoptimistische Sprache der IBA hat uns inspiriert, weil da der Wunsch drinsteckt, dass das Wirklichkeit werden wird. Und man ahnt schon, dass die Realität letztlich doch wieder ganz normal ist.

Wie sind die Lieder entstanden?

Jan Dvorak: Wir haben für die Lieder aus der englischen Übersetzung des Originals Textstellen herausgegriffen und daraus mit möglichst geringen Veränderungen Liedtexte hervorgebracht.

Thomas Fiedler: Die Idee für die Bauausstellung war, jedem Gebäude einen Song zuzuordnen, der sich mit einem Bereich auseinandersetzt. Daraus ist ein Musikfilm geworden und ein Utopian Songbook, das auch eine CD werden soll.

Und die Musik dazu?

Jan Dvorak: Da war erst mal ein Wort, das in unseren Köpfen schwebte, Barockfuturismus. Wie würde sich so etwas anhören? Es entstand eine Idee, zum Beispiel auf Schlagzeug zu verzichten und stattdessen ein Cembalo reinzunehmen. Eine Art Kammermusik auf der Basis von auch harmonisch sehr einfachen Liedern zu erfinden, die an eine Art Singer/Songwriter-Pop andocken, andererseits an Renaissance-Musik, die auch einfache harmonische Strukturen hat. Wir haben Syntheziser, aber auch ein Cembalo, ein Cello, eine Sängerin, die als Ensembleinstrument eingesetzt wird. Da entsteht ein merkwürdiger Klangraum.

Welche Rolle spielt der Film?

„Wir überlassen es dem Publikum, das satirisch oder als Phantasie zu sehen“

Jan Dvorak: Wenn man Theater macht, ist man auf die Gegenwart konzentriert, sehr unutopisch. Film ist ein ganz anderes Medium: Man bereitet etwas vor, das erst in der Zukunft fertig sein wird.

Thomas Fiedler: Der Zuschauer sieht den Film nicht, sondern die Dreharbeiten.

Jan Dvorak: Für das Publikum bleibt das eigentliche Ergebnis des Abends in der Zukunft und im Ungewissen.

In Wilhelmsburg taucht der Film nur in Fragmenten auf.

Jan Dvorak: Man muss ihn sich selbst zusammensetzen.

Thomas Fiedler: Zum Abschluss in der Nordwandhalle wird alles zusammengeführt, dort wird der Film in größeren Teilen zu sehen sein, aber fragmentiert, als Filminstallation.

Eine wichtige Rolle spielt das kollektive Produzieren.

Thomas Fiedler: Wir gehen immer vom Thema aus, beim Leviathan waren Chöre wichtig, weil das chorische Element den Staat repräsentiert. Hier ist es ähnlich. Utopia besteht aus verschiedensten Orten und Menschen. Und ist immer offen für Verbesserungen. Jeder, der etwas weiß und es in die „Kuppel“ – eine Art Open Source-Prinzip – hineingeben kann, macht Utopia besser. Insofern passt es, dass viele unterschiedliche Künstler mitarbeiten. Das Video hat die Gruppe niedervolthoudini mit uns entwickelt und ihre Ideen mit hineintragen. Auch Kathrin Bethge mit ihren Overheadprojektoren und die Darsteller und Sänger Peter Thiessen, Friedrich Liechtenstein oder Jacqueline Blouin tragen ihren eigenen Stil, ihre eigene Ästhetik hinein.

Jan Dvorak: Der Anspruch ist, das nicht wegzuinszenieren, sondern auszustellen, zur Geltung zu bringen. Andere werden mit hineingezogen und entsteht eine Struktur, die einen inhaltlichen Kern, einen Magnetismus hat. Es ist, als ob die Inhalte die Leute anziehen. Man hat das Gefühl, das von ganz vielen Stellen aus dieses für uns interessante Feld beackert wird.

■ Sa, 16. 2., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20; Teil 2 auf der IBA am 23. März, 19 Uhr