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Archiv-Artikel

Erklär mir den Grusel Finanzkrise

Die Krise war schneller als alle Prognosen. Das Chaos, das sie anrichtet, ist größer als befürchtet. Beobachten wir gar eine historische Zäsur? Und was wird noch folgen? Einige neue Bücher zum Thema wollen den Wissensbedarf decken

VON ULRIKE HERRMANN

Was ist eigentlich passiert? Vor 18 Monaten begann die akute Phase der Finanzkrise, und noch immer verblüfft die Geschwindigkeit, mit der sie Chaos verbreitet. Banken kollabieren, Länder gehen bankrott, Kreditmärkte trocknen aus. Staaten investieren Billionen in ihre Rettungsschirme, und dennoch stürzt die Weltwirtschaft in eine schwere Rezession ab. Wo eben noch Boom war, da ist jetzt Depression.

Jeder rasante Wandel verlangt nach Deutungen, und an Büchern zur Finanzmarktkrise fehlt es nicht. Allerdings werden sie selbst schnell zu Opfern jener Dynamik, die sie deuten wollen: Schon nach wenigen Monaten ist jedes Werk zur Finanzkrise veraltet und wird zum Zeugnis dafür, wie unvorhersehbar die Geschehnisse letztlich sind.

Sogar geniale Spekulanten wie George Soros irren sich. Sein Buch „Das Ende der Finanzmärkte“ erschien im Frühjahr, und damals glaubte er noch, dass eine weltweite Rezession vermieden werden könnte. Ganz besonders hoffte Soros auf China – doch auch dort musste man inzwischen ein gigantisches Konjunkturpaket von 460 Milliarden Euro auflegen. Genauso fälschlich prognostizierte Soros, dass die Rohstoffpreise explodieren würden. Stattdessen ist das Barrel Öl seit März von 110 auf rund 40 Dollar gefallen. Allerdings weiß gerade Soros um seine Fehlbarkeit, und an Selbstironie fehlt es ihm auch nicht: „Ich habe mich weit aus dem Fenster gelehnt“, kommentierte er damals süffisant die eigenen gewagten Prognosen.

Dieser Mut zur Meinung macht Soros’ Buch auch noch immer lesenswert. Interessant ist etwa sein Tagebuch eines Spekulanten, das die Leser in einem „Echtzeitexperiment“ nachvollziehen lässt, wie Soros versucht hat, sein Vermögen von Januar bis März 2008 zu vermehren. Doch auch er musste große Verluste verbuchen, wie er am Ende schonungslos offenlegt: „Der Fonds ist für dieses Jahr nunmehr unter Wasser.“

Interessant ist Soros’ Buch auch, weil er zu den wenigen gehört, die schon seit Jahren vor dem totalen Crash warnen. Für ihn platzt nicht nur eine Immobilienblase, sondern zugleich auch eine Superblase, die sich in den letzten 25 Jahren aufgepumpt hat. Sie war gekennzeichnet durch Deregulierung, die Globalisierung der Finanzmärkte und eine immer stärkere Kreditexpansion. Soros prognostiziert eine historische Zäsur: Der Dollar werde als internationale Leitwährung geschwächt, wenn nicht gar abgelöst.

Allerdings macht es Soros den Lesern nicht immer leicht. Der „gescheiterte Philosoph“, wie er sich selbst bezeichnet, will unbedingt die Wissenschaftstheorie Karl Poppers auf die Finanzmärkte übertragen. „Leser, die nur an der aktuellen Krise interessiert sind, werden die Lektüre mühsam finden“, warnt er schon in der Einleitung.

Während sich Soros mit den technischen Details der Finanzkrise nicht lange aufhält, wird das Basiswissen zur Immobilienblase in den meisten anderen Büchern umso hingebungsvoller nachgeliefert. Mit geradezu lustvollem Gruseln wird ausführlich dargestellt, was in der Schattenwelt der Subprime-Hypotheken in den USA so alles möglich war: Hauskredite an Menschen ohne Einkommen, ohne Nachweis von Einkommen, ohne Anzahlung, ohne Tilgung, zu Lockzinsen oder über dem Wert der Immobilie. Letztlich war es eine Wette, dass die Häuserpreise ständig weiter steigen würden. Doch dann begannen sie ab Herbst 2006 zu fallen – die Finanzkrise nahm ihren Anfang.

Aber wie war dieser Hypothekenwahnsinn möglich? Es gehört zu den Phänomenen dieser Finanzkrise, dass erstaunliche Annäherungen zwischen Neoliberalen, Keynesianern und selbst Kommunistinnen wie der linken Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht zu beobachten sind. Unabhängig von ideologischen Neigungen kommt niemand umhin, erst einmal die Geldpolitik der US-Notenbank zu erläutern.

Nach dem Ende der Internetblase und den Terroranschlägen 2001 wurden die Leitzinsen letztlich auf 1,0 Prozent gesenkt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Genau 31 Monate lang lagen die Zinsen in den USA unter der Inflationsrate – der reale Zins war also negativ. Wer dennoch sparte, gehörte zu den Dummen, denn das Geld verlor auf der Bank beständig an Wert. Stattdessen bot es sich an, Kredite aufzunehmen und Vermögen zu erwerben. Dies wiederum heizte den Häusermarkt an. Zwischen 2000 und 2006 stiegen die Immobilienpreise in Los Angeles um 170 Prozent, in Miami um 180 Prozent, in New York um 120 Prozent und in Washington um 140 Prozent. Die Häuser finanzierten sich quasi von selbst und wurden zum Spekulationsobjekt: Es bürgerte sich ein, Eigenheime auf Kredit zu kaufen, um sie demnächst weiterzuveräußern.

Die Banken wiederum gewährten nur zu gern Kredite, hatten sie doch einen Weg gefunden, selbst riskante Hypotheken aus ihren Bilanzen zu entfernen: Sie wurden in Wertpapiere umgewandelt, mit den besten Ratings versehen und dann auf dem internationalen Finanzmarkt weiter verkauft. ABS, MBS oder CDO hießen die Konstrukte, die selbst von vielen Bankern nicht verstanden wurden.

Wer sich für diese technischen Details interessiert und schon immer einmal wissen wollte, was ein Swap ist, der wird am besten vom Finanzjournalisten Wolfgang Münchau bedient. Sein Buch „Vorbeben“ hat er inzwischen aktualisiert und als „Kernschmelze im Finanzsystem“ neu herausgegeben.

Wenig erhellend ist hingegen Wolfgang Köhlers „Wall Street Panik“, das nur bis zum Frühjahr reicht. Der Börsenkolumnist verschwendet viel Platz auf betrügerische Kredite und Kredithaie, die für den Verlauf der Krise eher unwichtig waren.

Aber nicht nur die Zinspolitik der US-Notenbank und die Kreditinstrumente haben zur Finanzkrise beigetragen: Wichtig waren auch makroökonomische Faktoren – und bei deren Analyse zeigen sich dann doch die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Autoren. Soros und Münchau belassen es dabei, die globalen Ungleichgewichte zu erwähnen, also die immensen Defizite in der US-Leistungsbilanz oder die gigantischen Devisen-Überschüsse vor allem in China.

Eher linken Autoren ist dies zu wenig. So weist der Finanzjournalist Lucas Zeise in seinem Buch „Ende einer Party“ darauf hin, dass sich der Finanzsektor nur derart grotesk aufblähen konnte, weil die Einkommensverteilung auf der Welt immer ungleicher wird. Auch der forcierte Ausbau der privaten Altersvorsorge sorge dafür, dass ständig neues Sparkapital anfällt, das auf der Suche nach lukrativen Anlagen ist. Ähnlich sieht es Wagenknecht.

Während Münchau und Soros also manchmal zu eng argumentieren, sind umgekehrt Zeise und Wagenknecht gelegentlich zu weit schweifend in ihrer Ursachenanalyse. So machen sie auch Private-Equity-Fonds und Hedgefonds für den Crash verantwortlich, obwohl doch das Verstörende an dieser Krise ist, dass sie vor allem die Traditionshäuser trifft: Uralte Investmentbanken und öffentliche Landesbanken müssen plötzlich Insolvenz anmelden. Hedgefonds sind zwar hochspekulativ und sollten auch reguliert werden – doch in dieser Finanzkrise sind sie eher die Opfer als die Täter.

Und wie geht es jetzt weiter? Besonders präzise ist die Prognose bei Soros und Münchau ausgefallen: Beide setzen darauf, dass demnächst die Credit Default Swaps (CDS) zusammenbrechen. Bei diesen Derivaten handelt es sich um Kreditversicherungen, die sich auf gigantische 62.000 Milliarden Dollar aufgebläht haben. Das weckt Schreckensvisionen. Wenn etwa durch die Rezession weitere Banken oder auch Großunternehmen kollabieren, dann fallen auch ihre Anleihen und die besicherten Wertpapiere aus. Plötzlich könnten enorme Versicherungsansprüche aus den CDS fällig werden und weitere Großinvestoren in den Abgrund reißen.

Aber muss es wirklich so kommen? Die bankrotte US-Investmentbank Lehman Brothers war kürzlich ein erster Testfall. Rund 400 Milliarden Dollar betrugen dort CDS-Ansprüche – doch am Ende flossen nur ganze 7 Milliarden als Cash. Denn es stellte sich heraus, dass fast jeder Versicherungsnehmer auch Versicherungsgeber war. Letztlich war also jede Bank ihr eigener Kunde. Das ist zwar Irrsinn, aber unschädlich.

Die Finanzkrise hat permanent solche Überraschungen zu bieten. Daher lässt sich momentan eigentlich nur eine Prognose sicher wagen: Es werden noch viele weitere Bücher über diesen beispiellosen Crash folgen.

Wolfgang Köhler: „Wall Street Panik – Banken außer Kontrolle. Wie Kredithaie die Weltkonjunktur ins Wanken bringen“. Mankau Verlag, Murnau 2008, 206 Seiten, 18,95 Euro Wolfgang Münchau: „Vorbeben. Was die globale Finanzkrise für uns bedeutet und wie wir uns retten können“. Hanser Verlag, München 2008, 234 Seiten, 21,90 Euro Wolfgang Münchau: „Kernschmelze im Finanzsystem“. Hanser Verlag, München 2008, 240 Seiten, 21,90 Euro George Soros: „Das Ende der Finanzmärkte – und deren Zukunft. Die heutige Finanzkrise und was sie bedeutet“. FinanzBuch Verlag, München 2008, 174 Seiten, 24,90 Euro Sahra Wagenknecht: „Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft“. Das neue Berlin Verlag, Berlin 2008, 256 Seiten, 14,90 Euro Lucas Zeise: „Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft“. Papyrossa Verlag, Köln 2008, 196 Seiten, 14,90 Euro