: Auf die Missernte folgt die Hungerkrise
SAHELZONE Über 10 Millionen Menschen in Niger, Tschad, Mali und Mauretanien brauchen Hilfe, um eine Hungersnot abzuwenden, warnt Oxfam. Nigers neues Militärregime ist dafür offener als sein Vorgänger
BERLIN taz | Seit Monaten bahnt sich in mehreren Staaten der afrikanischen Sahelzone die schwerste Hungersnot seit fünf Jahren an. Gestern haben Hilfswerke erneut massiv Alarm geschlagen. Über 10 Millionen Menschen seien in Niger, Tschad, Mali und Mauretanien unmittelbar von schwerer Unterernährung bedroht, und 800.000 davon bräuchten Soforthilfe, warnte gestern das britische Hilfswerk Oxfam. „Wir sind Zeugen einer sich entfaltenden Katastrophe, die abgewendet werden kann, wenn wir schnell handeln“, sagte Oxfams Westafrikadirektor Mamadou Biteye. „Die nächsten Ernten sind Monate entfernt und schon jetzt sind Menschen verzweifelt. Sie essen Blätter und trinken schmutziges Wasser.“
3,3 Millionen Menschen seien in Niger betroffen, 2 Millionen im Tschad, über 600.000 in Mali und über 300.000 in Mauretanien, hieß es. Die letzten Ernten lagen bis zu einem Drittel unter dem Bedarf, was dazu führt, dass zahlreichen Landbewohnern die Nahrungsmittelreserven lange vor der nächsten Ernte ausgehen und sie sich mangels Kaufkraft nichts zu essen kaufen können. Seit Mai ziehen nach Berichten der UN-Agrarorganisation FAO die Lebensmittelpreise in Niger und anderen Ländern der Region stark an, während die Viehpreise sinken – ein sicheres Zeichen dafür, dass notleidende Landbevölkerungen beginnen, ihre Herden zu verkaufen, was zu Preisspekulation führt.
Ein gemeinsamer Appell der internationalen Hilfswerke in Höhe von 205 Millionen US-Dollar, um den Bedürftigen zu helfen, ist erst zur Hälfte finanziert. „Vor fünf Jahren, als es eine vergleichbare Lebensmittelkrise in Niger gab, warteten die Geber zu lange, Leben wurden unnötig verloren und die Kosten der Hilfsoperation schossen in die Höhe“, so Biteye. Dieser Fehler dürfe sich nicht wiederholen.
Nach UN-Angaben sind rund die Hälfte der 15 Millionen Einwohner Nigers von Lebensmittelknappheit betroffen, was allerdings nicht automatisch Hungersnot bedeutet. Die Unfähigkeit der Regierung Nigers, mit Lebensmittelkrisen umzugehen, war einer der Auslöser des Militärputsches vom Februar, als junge Soldaten den zwar gewählten, aber immer autokratischeren Präsidenten Mamadou Tandja stürzten. Tandja hatte 2005 die Existenz von Hungersnot in seinem Land geleugnet und die Berichterstattung darüber zeitweise verboten. Die neuen Militärherrscher zeigen sich offener: Eine Journalistensteuer für ausländische Berichterstatter in Höhe von 750 Euro für Printmedien und 3.000 Euro für Fernsehen wurde aufgehoben, und die Regierung begann vor Wochen mit der Verteilung kostenlosen Saatguts an Bedürftige.
Offiziell ist massive Hilfe für Niger schwierig, da die EU bereits vor dem Militärputsch die Zusammenarbeit mit dem Land aussetzte, um gegen die autokratische Tandja-Herrschaft zu protestieren. Nothilfe ist von der Suspendierung allerdings ausgeschlossen. DOMINIC JOHNSON