„In einer Zwickmühle“

VORTRAG Eigentlich dürfen Hirntote keine Organe spenden, denn sie sind nicht tot – oder doch?

■ 58, hat über die Hirntod-Debatte habilitiert und ist seit 2013 Professor für Praktische Philosophie an der Uni Bielefeld.

taz: Herr Stoecker, ist ein hirntoter Mensch tot oder nicht?

Ralf Stoecker: Es gibt Erkenntnisse, die dagegen sprechen, dass das Hirn das Steuerungssystem des Organismus ist. Der Neurologe Alan Shewmon hat vielfältige Beispiele dafür angeführt, dass Hirntote über komplexe Steuerungsfunktionen verfügen – natürlich mit Hilfe intensivmedizinischer Maßnahmen.

Ohne die wäre ein Mensch aber doch nicht lebensfähig ...

Ja, aber das gilt auch für einen Menschen im Wachkoma: Ohne künstliche Ernährung wäre auch er nicht lebensfähig, wird aber trotzdem nicht für tot erklärt. Beim Thema Organspende befinden wird uns da in einer Zwickmühle, denn nur einem Menschen, der tot ist, dürfen die Organe entnommen werden.

Was bedeutet das für die Organtransplantation?

Über Bord geworfen werden kann die Transplantationsmedizin nicht, dafür hängen zu viele Menschenleben an ihr. Ein Ansatz wäre, das Stoppen der intensivmedizinischen Maßnahmen als eine Form der berechtigten Tötung anzuerkennen. Das ist für mich aber nicht akzeptabel.

Aber die Hirntoten würden durch die Organentnahme doch getötet ...

Man muss sich vor Augen führen, dass es den Hirntod ja noch nicht länger als 50 Jahre gibt. Vorher gab es keine Möglichkeiten, den Prozess des Sterbens zu unterbrechen. Heute können wir das und haben damit einen Zustand geschaffen zwischen Leben und Tod. Wenn wir wissen wollen, wie wir diese Patienten behandeln sollen, müssen wir uns klar darüber sein, dass wir ihnen keinen Schaden mehr zufügen können. Es ist ja keinerlei Besserung ihres Zustandes mehr in Sicht. Aber man kann sie immer noch mit Respekt behandeln, und dann kann man ihnen auch Organe entnehmen.

Und wer soll die Entscheidung über Leben oder Tod treffen?

Idealerweise der Mensch selbst, indem er sich im Vorfeld bereits dazu äußert, was mit ihm im Falle eines Hirntods geschehen soll. INTERVIEW: SCHN

17 Uhr, Schulungsraum der

Physiotherapie im St. Joseph-Stift