: Das Sprachorgan des Kapitals
MEDIEN Am Sonntag feiert die „FAZ“ ihr 60-jähriges Bestehen. Seine Wirkung hat das Blatt schon lange eingebüßt und kämpft heute mit Umsatzverlusten
VON HERMANNUS PFEIFFER
Adolf Hitlers Propagandastrategen schätzten die Frankfurter Zeitung. Solange es das Kriegsglück zuließ, durfte das brave bürgerliche Organ erscheinen und wurde auch manche Camouflage von Redakteuren geduldet. Bis 1943 gaukelte die Zeitung dem Bürgertum im Ausland eine zivile Ordnung in Deutschland vor. Dieses Bild war den beiderseitigen Geschäften nützlich und diente zugleich den Eigentümern NSDAP und I.G. Farben (also der „Interessengemeinschaft“, die das Giftgas für die faschistischen Vernichtungslager produzierte und aus der nach dem Kriege BASF, Bayer und Hoechst im Wirtschaftswunderland hervorgingen). 1949 erstand die Zeitung aus den Ruinen zwar neu, aber nicht geschichtslos. Wieder waren es Unternehmen aus dem Umfeld der Deutschen Bank – dazu hatte auch die I.G. Farben gezählt –, welche die Gründung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finanzierten. Kurz darauf verschwanden die Treugeber der FAZ auf ewig hinter dem Treuhänder, einer Stiftung.
Werbeblatt der Banken?
Diese für die junge Bundesrepublik typische Geschichte der Kontinuität erzählten ich und einige Mitstreiter wie Otto Köhler und Eckard Henscheid vor zwei Jahrzehnten in dem Buch „Die FAZ – Nachforschungen über ein Zentralorgan“. Die FAZ widersprach der Kontinuitätsthese. Doch die Indizien dafür erscheinen auch heute noch überzeugend. Der zweiten These, dass mit der Deutsche-Bank-Gruppe die wichtigste Kapitalfraktion in der Bundesrepublik hinter dem Blatt steht, wurde nie ernsthaft widersprochen. Als Zentralorgan der Deutsche-Bank-Gruppe war sie lange Pflichtlektüre für linke Intellektuelle.
Vorbei. Mit der neoliberalen Wende seit den Siebzigerjahren wandelte sich der Kapitalismus und damit das Publikum. Das deutsche Kapital wurde (wieder) international, neue Netzwerke gesponnen, alte Kapitalfraktionen bedeutungslos. Die FAZ-Bürger sind nicht mehr die Bürger, sondern trennten sich in neoliberale FDP-Grüne-Wähler und wertkonservative CDU-CSU-SPD-Wähler. Trotzdem ist die FAZ mit einer Auflage von über 367.000 und Umsatzverlusten durch die Anzeigenkrise immer noch das wichtigste Bürgerblatt.
Die Generallinie der FAZ war immer, sich gegen Exzesse oder vermeintliche Exzesse zu stemmen, gegen die Verkrustungen der sozialen Marktwirtschaft wie gegen die Haltlosigkeit des globalisierten Turbokapitalismus. So lobt sie Kanzlerin Merkel II als Repräsentantin eines politischen Systems der Mitte, das vom Wahlrecht über das föderale Prinzip bis hin zum Bundesverfassungsgericht „auf wechselseitige Kontrolle und politische Mäßigung ausgerichtet ist“. Ideologisch basiert diese Haltung auf dem kategorischen Imperativ von Kant (was du nicht willst, das man dir tu…) und wirtschaftlich der „Freiburger Schule“, die auf wertegestützte Marktwirtschaft und Staatsskepsis setzt.
Die FAZ hat viele öffentliche Diskussionen ausgelöst. Gewicht erhielten die Beiträge durch ihren Hintergrund als Zentralorgan der wichtigsten Kapitalfraktion. Am wirkungsmächtigsten war der „Historikerstreit“ in den späten Achtzigerjahren, mit dem erfolgreich versucht wurde, den deutschen Faschismus zu relativieren und Deutschland wie- der eine gewichtige Rolle im Weltgeschehen zu verschaffen. Spätestens mit dem Kriegseintritt in Afghanistan war der Versuch, unserem Land eine wertkonservative nationale Identität zu geben, von Erfolg gekrönt.
Markant war auch die Dauerserie zur Frage, was ist links? Das ist die FAZ gewiss nicht. Mit ihrem wertkonservativen Ansatz von Treu und Redlichkeit ist sie allerdings von den moralischen Grundsätzen der traditionellen Linken oft gar nicht so weit entfernt.
Vermutlich steckt immer noch ein kluger Kopf dahinter. Jahre später als die Konkurrenz stieg die FAZ mit eigenen Inhalten erst 2001 ins Internetgeschäft ein. „Exklusiver strategischer Partner“, so die FAZ, war die Deutsche Bank.
Wer steckt dahinter? Die Frage erscheint heute altbacken, verschwörungstheoretisch. Doch in Zeiten der Medien-Berlusconis, der Staatsgelder für die konzernnahen Zeitungen in Frankreich, des Zeitungssterbens in den USA sowie sinkender Auflagen und verkleinerter Redaktionen in vielen deutschen Zeitungen bleibt sie wichtig.
Und die Hintermänner?
Schließlich ist es für die nachhaltige Wettbewerbsposition – um in der FAZ-Diktion zu schreiben – mitentscheidend, ob eine finanzstarke Kapital-Stiftung das Überleben absichert oder ob ein renditeorientierter Investor oder eine Genossenschaft der LeserInnen dahinter steckt. Starke Hintermänner besitzen eben nicht alle. Wer also an der (geschwächten) Pressevielfalt und -freiheit festhalten möchte, sollte zukünftig noch öfter zu Frankfurter Rundschau, Neues Deutschland oder taz greifen.