: „Es geht nicht darum, Menschen zu heilen“
DILEMMA Der Gesundheitsexperte Peter Liese warnt vor Gefahren der neuen Technik: sie diene nicht den Patienten, vielmehr berge sie große Risiken
■ Jahrgang 1965, Arzt und CDU-Politiker, ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bioethik und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.
taz: Herr Liese, sind wir dem Züchten von Menschen jetzt einen Schritt näher?
Peter Liese: Man muss sich Sorgen machen, weil die Technik, mit denen man geklonte Embryonen herstellt, unabhängig ist vom Ziel. Die Wissenschaftler sagen jetzt zwar, dass das geklonte Baby nicht das Ziel sei. Aber die Technik ist die gleiche, und das Argument dagegen ist auch nur technischer Natur. Grundsätzliche ethische Überlegungen hingegen stehen in der Wissenschaft nicht im Vordergrund.
In der Europäischen Union ist das sogenannte reproduktive Klonen verboten. Wo ist dann das Problem? Die Forscher sagen doch selbst, dass sie die hergestellten Stammzellen nur zur therapeutischen Forschung, also für einen guten Zweck nutzen wollen.
Der Zweck darf nicht die Mittel heiligen. Die ethischen Bedenken bleiben, denn man stellt Embryonen her zu dem Zweck, sie anschließend zu zerstören. Und man braucht dafür immer mehr weibliche Eizellen. Schon jetzt bedienen sich die Befruchtungskliniken in Großbritannien bei rumänischen Frauen, denen das medizinische Risiko der Eizellspende oft nicht klar ist. Daneben beobachte ich mit Sorge, dass die ethischen Grenzen, auch wenn sie gesetzlich festgeschrieben sind, immer dann in Frage gestellt werden, wenn etwas technisch möglich ist. Deswegen glaube ich den Versicherungen nicht, dass man auch auf Dauer keine Babys klonen wolle.
Welche Chancen bieten die neuen Erkenntnisse für die Heilung neurodegenerativer Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose?
Menschliche embryonale Stammzellen werden seit 15 Jahren erforscht. Es gibt aber bislang weltweit überhaupt nur eine einzige klinische Prüfung zur Behandlung einer Augenkrankheit; über Ergebnisse ist nichts bekannt. Zum Vergleich: Mit der Alternative, also den ethisch unumstrittenen adulten Stammzellen, gibt es 6.000 klinische Prüfungen.
Der Durchbruch, von dem viele Forscher sprechen, ist keiner?
Es ist kein Durchbruch für die Patienten, sondern einer für die Grundlagenforschung. Auch aus medizinischer Sicht sollte man auf die Alternativen setzen, also auf adulte Stammzellen oder auf Stammzellen aus dem Nabelschnurblut: Diese sind therapeutisch vielversprechender und ungefährlicher.
Welche gesundheitlichen Risiken bestehen beim Einsatz embryonaler Stammzellen?
Embryonale Stammzellen vermehren sich sehr stark und unkontrolliert. Das ist für die Forschung interessant, weil man so an verschiedenen Orten immer mit den gleichen Zellkulturen arbeiten kann. Aber für die Patienten ist das ein Manko, denn Zellen, die sich unkontrolliert vermehren, sind Krebszellen.
Wenn sich die Heilsversprechen der embryonalen Stammzellforschung als Luftnummer entpuppt haben – warum setzen die Forscher aus den USA jetzt dann doch wieder darauf?
Das ist purer Forscherdrang. Selbst die Befürworter der embryonalen Stammzellforschung sagen ja, dass es nicht darum geht, Menschen zu heilen. Es geht einzig um den Drang, alles zu wissen und alles zu können.
Niemand kann den Wissensdrang verbieten. Man kann aber der wissenschaftlichen Machbarkeit Grenzen setzen. Wo?
Wir haben es geschafft in der Europäischen Union, zwei klare Grenzen zu setzen: Die Herstellung von menschlichen Embryonen durch Klontechnik, egal zu welchem Zweck, wird von der EU nicht gefördert. Und man kann kein Patent anmelden auf die Verwendung von embryonalen Stammzellen in der EU. Diesen ethischen Standard sollten wir beibehalten.
Auch auf die Gefahr hin, dass Forscher, die auf öffentliche oder private Förderung angewiesen sind, sich deswegen von Europa abwenden?
Es ist zum Glück um diese Frage sehr ruhig geworden. Die Forschung mit menschlichen Embryonen ist ein kleiner Teil der Forschung insgesamt, und das Klonen menschlicher Embryonen ist ein noch winzigerer Teil. Aber davon abgesehen: Für den ethischen Umgang mit dem Menschen darf das Thema Wettbewerbsfähigkeit niemals den Ausschlag geben.
INTERVIEW: HEIKE HAARHOFF