WOLFGANG BENZ UND DIE CAUSA KARL BOSL : Loyalität und Reflexion
MICHA BRUMLIK
Die Frage, ob man die Abneigung gegen oder Furcht vor Islam und Muslimen mit dem Antisemitismus, der schließlich zur Schoah führte, vergleichen oder gar gleichsetzen darf, sorgt noch immer für Aufregung. Im Zentrum der Debatte steht der Direktor des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, der im Jahrbuch des Instituts von „unverkennbaren Parallelen“ zwischen Antisemitismus und Islamophobie geschrieben hat, um darauf hinzuweisen, wie gefährlich derlei Haltungen seien, wie – so Benz wörtlich – „das Paradigma der Judenfeindschaft durch seine Umsetzung im Völkermord lehrt“. Zumal mit diesem Hinweis habe Benz, so seine Kritiker, nicht nur den Holocaust verharmlost, sondern auch die realen Gefahren des radikalen Islamismus heruntergespielt. Andere werfen ihm gar vor, damit das Andenken der im Holocaust Ermordeten geschändet zu haben.
Indes: Die vorschnelle Moralisierung einer sozialwissenschaftlichen Grundsatzfrage hilft in der Sache nicht weiter. Daher bleibt die Frage nach Parallelen von Antisemitismus und Islamophobie eine wichtige, politisch folgenreiche Grundlagendebatte der historischen Sozialwissenschaft, die Benz durchaus mit Respekt bestehen könnte.
Freilich haben seine Gegner Benz nun in einem Punkt getroffen, der auf den ersten Blick mit der erwähnten Debatte in keinem Zusammenhang steht. Benz wurde 1968 in München von dem Mediävisten Karl Bosl promoviert und steuerte zu dessen Festschrift 1983 einen wohlwollenden Beitrag bei.
Durch die Recherchen von Clemens Heni ist jetzt bekannt geworden, dass der 1908 geborene Bosl nicht nur ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP und des NS-Lehrerbundes, später wohl auch der SA war, sondern sich 1938 für eine Mitarbeit im Forschungsprojekt des SS-Instituts „Ahnenerbe“ zum Thema „Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte“ bewarb und aufgenommen wurde.
Bosl referierte noch im Januar 1945 auf der letzten NS-Historikertagung in Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn zum Thema „Landesausbau im baierischen Raum“. 1964, Bosl war weit über fünfzig Jahre alt, nahm er eine Einladung der rechtsextremen Vertriebenenorganisation „Witikobund“ an und beschuldigte bei einem „Sudetendeutschen Tag“ die Tschechoslowakei „einer radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems‘ nach hitlerischem Modell“.
Soweit ersichtlich, hat sich Benz, dessen Verdienste um die Holocaustforschung, seinen entschiedenen Einsatz gegen jeden Geschichtsrevisionismus und seine vertrauensvolle Kooperation mit jüdischen Gemeinden unbestreitbar sind, zu diesen Vorhaltungen nie ausführlich geäußert. Bekannt sind allenfalls beiläufige Äußerungen, Bosl sei kein „Nazi“ gewesen. So scheint eine erneute Debatte unerlässlich.
Dass ein ehemaliger Doktorand einem ihm freundlich gesonnenen Doktorvater die Loyalität hält, ist verständlich. Doch der Umstand, dass sich die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Leitfiguren, etwa Theodor Schieders, der den Generalplan Ost mitentworfen hatte, oder Werner Conzes, dessen Karriere als Sozialhistoriker mit völkischen Studien zur Siedlungsgeschichte begann, auseinandersetzen musste, hat ihr nicht geschadet.
Wolfgang Benz’ Schweigen, das seine anderweitigen Verdienste nicht schmälern kann, stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt dar. In der Haltung zur Geschichte der eigenen Disziplin und ihrer Vertreter fließen methodologische Grundsatzfragen und persönliche Einstellungen zusammen.
Dabei geht es nicht nur um individuelle Glaubwürdigkeit, sondern darum, ob man als Wissenschaftler die stets gebotene Distanz zur eigenen Tätigkeit bewahren kann. Nicht zuletzt aber wäre gerade jenem Anliegen, das Benz mit seinem Vergleich von Islamophobie und Antisemitismus vertritt, gedient, wenn er sich zur Causa Karl Bosl ernsthaft äußern würde.
■ Micha Brumlik ist Publizist und Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität in Frankfurt am Main