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Archiv-Artikel

Das Südwest-Problem

Eine Studie belegt, dass es in manchen Westbundesländern ähnlich viel Ausländerfeindlichkeit gibt wie in einigen ostdeutschen Regionen

AUFBAU DER STUDIE

Die Studie: Das Ziel der Erhebung war es, per Fragebogen und persönliches Interview herauszubekommen, welche rechtsextremen Einstellungen in Deutschland existieren. Es wurde dagegen nicht nach dem tatsächlichen Verhalten bei Wahlen oder bei Gewalttaten gefragt.

Die Themen: Zu sechs Themenfeldern wurden jeweils drei Fragen gestellt. Diese Felder sind: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Die Fragen: Zu jedem Themenfeld stellten die Forscher drei Thesen auf, zu denen die Befragten sich auf einer Skala von eins (lehne völlig ab) bis fünf (stimme voll und ganz zu) verhalten sollten. Beim Antisemitismus waren diese Thesen beispielsweise: 1. Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß. 2. Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen. 3. Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns.

Die komplette Studie findet sich auf der Seite www.fes.de

VON DANIEL SCHULZ UND ANDREAS SPEIT

Rechtsextreme Ressentiments nehmen in Deutschland ab. Das belegen die Leipziger Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler in der neuen Studie „Der Blick in die Mitte“. Sie stellen eine „kontinuierliche Abnahme der Zustimmung“ bei ausländerfeindlichen oder nationalistischen Positionen fest. „Es gibt aber keinen Grund für Entwarnung“, sagte Decker bei der Vorstellung der Studie am Donnerstag in Berlin.

Denn das Bild, welches die beiden Wissenschaftler in der neuen Rechtsextremismus-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zeigen, ist äußerst vielschichtig. Die Zahlen belegen, dass es in manchen wohlhabenden Westbundesländern ähnlich viel Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus gibt wie in einigen ostdeutschen Regionen. Dabei stechen Baden-Württemberg und Bayern besonders hervor. Außerdem nehmen antisemitische Einstellungen in Ostdeutschland leicht zu. Und die Abnahme ausländerfeindlicher Einstellungen ist vor allem einem Rückgang im Westen geschuldet.

Rund 32 Prozent der Befragten in Ost und West stimmen zu, dass die Bundesrepublik durch die vermeintlich vielen Ausländer „in einem gefährlichem Maß überfremdet“ sei. Mit 40,8 Prozent sind Arbeitslose am häufigsten Befürworter ausländerfeindlicher Aussagen. Diese Werte korrespondieren mit den 29,9 Prozent der Befragten, die denken, dass, wenn Arbeitsplätze knapp werden, die „Ausländer wieder in ihre Heimat“ zurückgeschickt werden sollen. Im Osten ist die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Positionen höher, im Westen ernten antisemitische Aussagen eine höhere Zustimmung. „32,6 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung zeigen ausländerfeindliche Einstellungen. Das ist beinah doppelt so viel wie in Westdeutschland“, sagte Decker. Im Westen denken indes 18,5 Prozent, dass „auch heute noch der Einfluss der Juden zu groß“ sei, im Osten stimmen dem 15,4 Prozent zu. Dass „die Juden“ mehr mit üblen Tricks arbeiten als andere Menschen, glauben im Westen 15,4 Prozent, 2,2 Prozentpunkte mehr als im Osten. Auffallend ist auch, dass Bildung einer der Hauptfaktoren für rechtsextreme Einstellungen ist. Knapp 23 Prozent ohne Abitur neigen zu Ausländerfeindlichkeit, bei den Abiturienten sind es nur 9,8 Prozent. Für manchen überraschend dürfte sein, dass Rechtsextremismus kein alleiniges Jugendproblem ist. Denn die meiste Zustimmung ernteten rechtsextreme Positionen bei den Alten. So zeigten sich 26,3 Prozent der Interviewten über 60 Jahre offen antisemitisch, bei den 14- bis 30-Jährigen waren dies gut 10 Prozentpunkte weniger.

Die Leipziger Wissenschaftler konnten Forschungsergebnisse von 2002 bis 2008 vergleichen, weil die aktuelle Studie bereits die dritte Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema rechtsextremistische Einstellungen ist. Für die aktuelle repräsentative Erhebung wurden 2.524 Personen im Alter von 14 bis 91 Jahren befragt. In persönlichen Interviews mussten sie dazu Stellung nehmen, ob „die Ausländer kommen“, um „unseren Sozialstaat auszunutzen“.

Dadurch lässt sich im Zeitvergleich beispielsweise feststellen, dass 8,6 Prozent der Befragten im Jahr 2006 eine manifeste rechtsextreme Einstellung hatten, heute sind es mit 7,6 Prozent etwas weniger. Im Westen waren das vor zwei Jahren 9,1 der Befragten, im Osten 6,6 Prozent. Nun ist im Westen der Wert auf 7,5 Prozent gesunken, im Osten dagegen auf 7,9 Prozent gestiegen.

„Das macht Westdeutschland aber nicht zu einer Insel der Glückseligen“, sagte Brähler. Der Sozialwissenschaftler warnt vor reinen Ost-West-Vergleichen“, denn so könnte verdeckt werden, „dass auch einzelne Bundesländer einen sehr hohen Anteil an Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus haben“. Durch vier von ihnen schon durchgeführte Untersuchungen habe sie eine starke empirische Datenbasis geschaffen, insgesamt können sie auf eine Stichprobengröße von 11.662 Personen zurückgreifen.

Ihre Zahlen sind überraschend. So hat Bayern mit 16,6 Prozent den höchsten Anteil an Antisemiten, gefolgt von Baden-Württemberg mit 13,3 Prozent und knapp vor Thüringen mit 12,9 Prozent. Gleichauf liegen Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern bei der Zustimmung für die Verharmlosung des Nationalsozialismus, gefolgt von Schleswig-Holstein.

Und ausländerfeindliche Ressentiments sind in Bayern und Sachsen-Anhalt offenbar fast gleich stark verbreitet. Mit 39,1 Prozent liegt der Freistaat knapp hinter dem Ostland, 39,3 Prozent. Brähler und Decker bezeichneten dieses Phänomen als „Südwest-Problem“.

Einfache Erklärungsmuster haben die Sozialwissenschaftler nicht. Bayern und Baden-Württemberg deuten für sie an, wie notwendig auch die Berücksichtigung der „regional sehr unterschiedlichen Geschichtsmilieus und Demokratieverständnisse“ für die Einschätzung ist. Die unterschiedlichen Dimensionen in den Bundesländern müssten genutzt werden, um zugeschnittene Ansätze zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu entwickeln. Brähler befürchtete bei der Studie eine Verzerrung: „Wir fragten vor der Bankenkrise.“