: „Wir brauchen Kohlekraft“
WENDE Fossile Energien sind der einzige Weg zu den Erneuerbaren, sagt Lobbyistin Hildegard Müller. Im Koalitionsvertrag fehlen ihr Anreize für neue Kraftwerke – und „Innovationsdruck“ auf die Ökostrombranche
46, ist seit 2008 Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Zuvor war sie drei Jahre lang Staatsministerin im Bundeskanzleramt, von 1998 bis 2002 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jungen Union.
INTERVIEW INGO ARZT
taz: Frau Müller, kann es sein, dass Sie eine Art geheime Energieministerin in Deutschland sind?
Hildegard Müller: Nein, sicher nicht. Gerade durch meine Erfahrung als frühere Parlamentarierin weiß ich, das es richtig und wichtig ist, die Ebenen professionell zu trennen. Es ist völlig legitim, wenn die verschiedenen Interessen vorgetragen werden. Aber am Ende entscheidet allein die Politik.
Sie waren Staatsministerin im Kanzleramt unter Merkel. Wie oft hat Sie die Kanzlerin während der Koalitionsverhandlungen in Energiefragen spontan angerufen?
Der Austausch zwischen Politik und Wirtschaft muss absolut transparent sein. Darauf achte ich, auch wenn man sich von früher gut kennt. Dafür setzt sich auch der BDEW ein. Wir fordern deshalb auch ein nationales Lobbyregister, das im Koalitionsvertrag leider nicht erwähnt wird. Zudem organisieren wir keine Termine hinter verschlossenen Türen, alle unsere Stellungnahmen sind öffentlich.
Trotzdem hat die Koalition viele Ihrer Forderungen übernommen: einen Ausbaukorridor für Erneuerbare, eine verpflichtende Direktvermarktung für grünen Strom (siehe Text links), ein Systemwechsel bei der Förderung. Sie verklagen Union und SPD sicher nicht wegen Plagiats, oder?
Nein, sicher nicht. Aber wir standen mit vielen dieser Forderungen ja nicht alleine da. Es gab für verschiedene Ideen von uns große Unterstützung, wenn ich da zum Beispiel an die Pflicht zur Direktvermarktung von erneuerbarem Strom denke. Ich hatte auch klare Signale aus den Verbänden der erneuerbaren Energien, dass einige Vorschläge von uns wie die „strategische Reserve“ mitgetragen werden. Um es klar zu sagen: Wir vermissen viele Punkte im Koalitionsvertrag.
Was fehlt Ihnen denn?
Vieles ist noch unkonkret. Es fehlen zu oft Mut und Entschlossenheit. Daher fordern wir, dass Bund und Länder sich weiter zusammensetzen und wichtige Umsetzungsfragen konkretisieren. Zudem heißt es zwar Energiewende, aber eigentlich reden wir leider weiterhin fast nur über eine Stromwende. Dabei kommen 40 Prozent der CO2-Emissionen aus dem Wärmemarkt. Die Koalition erwähnt nicht ein Mal, wie effizient der Einsatz von Erdgas im Wärmebereich wäre. Kein Wort zu marktreifen Fahrzeugen, die mit Erdgas fahren. Das bedauere ich sehr.
Im Koalitionsvertrag steht: Fossile Energien seien auf „absehbare Zeit unverzichtbar“. War das der Preis, den Sie für Ihre Zustimmung zum Atomausstieg von der Politik gefordert haben?
Das ist kein Preis, den wir gefordert haben, das ist schlicht eine Notwendigkeit der Versorgungssicherheit. Die Erneuerbaren sind noch zu fluktuierend für eine Stromversorgung rund um die Uhr. Wir haben derzeit weder genug Speicher noch genug Netze. Die logische Konsequenz ist, dass wir Kohle- und Gaskraftwerke brauchen. Man muss den Bürgern auch ehrlich sagen: Nur mit Wind- und Sonnenstrom können wir Atomkraftwerke momentan nicht ersetzen.
Ab 2018 will die Koalition nur noch die erneuerbaren Energien fördern, die per Auktionen ausgeschrieben werden. Was soll daran billiger sein?
Es geht nun um einen effizienten weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir müssen die Entwicklung der Gesamtkosten in den Griff bekommen. Dazu gehört auch, dass sich erneuerbare Energien daran orientieren, wie Angebot und Nachfrage nach Strom sind. Einem Windparkbetreiber kann es heute völlig egal sein, ob sein Strom gebraucht wird oder nicht. Er baut und bekommt 20 Jahre lang staatlich garantiert Geld. Das führt zu einem völlig ungesteuerten Zubau. Das muss sich schrittweise, nicht sofort, ändern. Unabhängig davon bleiben die Ziele der Energiewende unbestritten.
Eben sagten Sie noch, dass Speicher fehlen. Wie soll denn ein Solar- oder Windkraftwerk ohne solche Puffer bedarfsgerecht Strom erzeugen?
Tatsache ist, dass es heute null Anreiz dafür gibt, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Wir glauben, dass eine Menge Innovationen möglich sind. Die werden nur ausgelöst, wenn es wirtschaftlichen Druck gibt. Man kann zum Beispiel Windkraft mit Biogasanlagen zusammenschließen, zusammen können beide besser dann Strom anbieten, wenn er gebraucht wird. Außerdem vermarkten heute bereits über 80 Prozent der Windkraftanlagen ihren Strom direkt nach Angebot und Nachfrage. Es geht also offenbar. 100 Prozent Subventionssicherheit für alles und jeden Fall, das ist bei einem Anteil erneuerbarer Energien von 23 Prozent und mehr nicht mehr vermittelbar.
Union und SPD haben eine Reihe gravierender Änderungen bei der Förderung erneuerbarer Energien angekündigt.
■ So sollen ab 2017 alle Anlagen ihren Strom per verpflichtende Direktvermarktung selbst an der Strombörse verkaufen müssen.
Das macht heute bereits die Mehrheit der Betreiber von Windkraftanlagen freiwillig – dank einer attraktiven Marktprämie, die es weiterhin geben soll. Dazu kommt ein Ausbaukorridor: 40 bis 45 Prozent des Stroms soll im Jahre 2025 aus erneuerbaren Energien kommen, 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035, heute sind es circa 23 Prozent.
■ Die Anlagen sollen ab 2018 nicht mehr wie heute eine feste Vergütung für ihren produzierten Strom bekommen. Vielmehr will der Staat den nötigen Ausbau zur Erreichung des Korridors per Auktion ausschreiben, Investoren können sich bewerben.
■ Wer mit der niedrigsten Förderung auskommt, erhält den Zuschlag. Das System soll nicht billiger sein, wohl aber den Ausbau politisch besser steuerbar machen. Ab 2016 soll es lotprojekte geben, eine „breite Bürgerbeteiligung“ soll laut Koalitionsvertrag möglich sein. (ia)
Stichwort Innovationsdruck: Glauben Sie wirklich, dass 55 bis 60 Prozent Erneuerbare bis 2035 genug Innovationsdruck auf die deutsche Wirtschaft und die Betreiber fossiler Kraftwerke ausüben wird?
Das ist technisch und strukturell ziemlich anspruchsvoll. Und das Ziel für uns alle heißt ja weiterhin: 80 Prozent erneuerbare Energien bis 2050, und das bleibt bestehen. Ich muss jetzt nicht blind losrennen und alles auf einmal machen. Es ist übrigens auch ein großer Fehler, dass es keinerlei Anreize für neue, fossile Kraftwerke gibt. Das hat dazu geführt, dass keine modernen, effizienten Kraftwerke mehr neu gebaut werden. Wir befürchten deshalb, dass wir in einigen Regionen spätestens ab 2020 massive Probleme mit der Versorgungssicherheit bekommen werden.
Ist es nicht ein ziemlicher Schmarrn, neue fossile Kraftwerke zu fordern, angesichts des Ausbaukorridors und der Stromüberproduktion, die wir gerade haben?
Wir brauchen auch Zubau, weil wir modernste Kraftwerke für den Klimaschutz brauchen. Und wir wollen weiterhin moderne Technik verkaufen, sonst haben wir bald keine Chance mehr auf dem Weltmarkt. Wenn wir jetzt alte Kraftwerke, die billig Strom produzieren, plötzlich abschalten, dann steigt der Strompreis weiter. Wir brauchen einen Mittelweg aus dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, alten und neuen konventionellen Kraftwerken. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass wir die Energiewende vernünftig und bezahlbar umsetzen.
Berechnet man die externen Kosten fossiler Energie wie Klimawandel und Luftverschmutzung, dann ist heute bereits jedes noch so billige Kohlekraftwerk volkswirtschaftlich teurer als ein Windrad. Warum wird nie über die externen Kosten fossiler Energie gesprochen?
Das haben wir doch erkannt. Die Energiewende ist politischer Konsens. Wir wollen zu einem System erneuerbarer Energien. Das schaffen wir auch, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen. Noch mal: Wir machen eine große Transformation, den Weg geht auch die Energiewirtschaft, wie reden nur noch über das Wie. Ich will die Debatte über externe Kosten nicht vom Tisch wischen. Aber wir können nicht von heute auf morgen alles umstellen.