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Archiv-Artikel

Im Zeichen der Jeansjacke

BEWEGUNG Heute und morgen trifft sich in Hamburg die Turbojugend, die aus Fans der aufgelösten Punkrockband Turbonegro besteht. Ihre Schaltzentrale sitzt auf St. Pauli

Die Turbo-Bewegung

Die Turbojugend wurde 1996 in Hamburg St. Pauli als Fanclub der norwegischen Punkrockband Turbonegro gegründet.

■ Als sich die Band 1998 auflöste, verselbstständigte sich der Fanclub und fing an, einen eigenen Kult zu schaffen.

■ Heute hat die Bewegung 20.000 bis 25.000 Anhänger in aller Welt.

VON JOHANN TISCHEWSKI

Das Licht ist schummrig in Fred’s Schlemmereck, serviert wird Astraknolle mit Jägermeister. Doch das Schlemmereck ist nicht einfach irgendeine Spelunke auf St. Pauli. Es ist das Zentrum einer globalen Subkultur, die sich hier einmal im Jahr trifft. Ihre Mitglieder sieht man im Fernsehen, auf Konzerten oder auch einfach auf der Straße. Zu erkennen sind sie an ihrem Dress: blaue Jeansjacke mit Turbojugend-Aufdruck auf dem Rücken.

Alles begann im Clubhaus des FC St. Pauli, vor einem Gig der norwegischen Punkrockband Turbonegro. Kurz vor dem Konzert tauchte Bela B. von den Ärzten auf, selbst bekennender Turbonegro-Fan. Im Gepäck hatte er 30 Aufnäher mit den Schriftzügen „Turbojugend St.Pauli“ und „Turbojugend Kreuzberg“, die er an die Fangemeinde verteilte. Später wurden die Banner an Jeansjacken befestigt, die ein Modelabel dem Fanklub überlassen hatte.

„Es fällt auf, wenn irgendwo zehn, fünfzehn Leute auftauchen, die alle dieselbe Jeansjacke mit dem Aufdruck Turbojugend St.Pauli tragen“, sagt Jürgen Goldschmitt. Er sitzt an der Bar in Fred’s Schlemmereck. Die Band hatte ihm erlaubt, zusammen mit einigen Freunden von hier aus den Turbojugend-Fanklub zu organisieren.

Als sich die Band auflöste, wurde Goldschmitt vom Präsidenten des Fanklubs Turbojugend zu „El Presidente“, dem Präsidenten der Bewegung. Auch die anderen Mitglieder dachten sich Titel aus, Propagandaminister etwa, Pornominister oder First Lady. Prominente Mitglieder wie Ville Valo von HIM oder MTV’s Jackass Star Bam Margera machten die Vereinigung über St.Pauli hinaus bekannt. Bald kamen Anfragen aus der ganzen Welt. „Alle wollten eine der begehrten Kutten, eine Jeansjacke mit dem Turbojugend St.Pauli Aufdruck, haben“, berichtet El Presidente.

Im Schlemmereck entschied man, mit den Jacken in Massenproduktion zu gehen. Es sollte aber nicht auf jeder Kutte Turbojugend St.Pauli zu lesen sein, sondern immer der Name der jeweiligen Ortsvereinigung, also: Turbojugend Los Angeles, Turbojugend Helsinki oder Turbojugend Tokio. Vor allem in den USA und Japan ist die Bewegung heute stark – wohl auch wegen der Nazisymbolik, mit der die Turbojugend hin und wieder kokettiert.

Die Pervertierung des Deutschtums dient ähnlich wie bei Ramstein als öffentlichkeitswirksames Element im Ausland. „Aber rechtes Gedankengut wird bei uns nicht toleriert“, sagt El Presidente nachdrücklich. „Turbojugend has nothing, but absolutely nothing to do with any Nazi Scheiße“, heißt es dazu auch auf der Homepage. Die Mitglieder der Turbojugend rekrutieren sich hauptsächlich aus der linken Punkrock und Rockabilly Szene.

Die wohl wichtigste Regel, an die sich die Turbojugendmitglieder zu halten haben, ist das Kuttenwaschverbot: Die Kutte darf nie gewaschen werden, außer wenn sie mit Erbrochenem in Berührung kommt. Die Vorschriften, die von El Presidente persönlich bestimmt werden, dienen dem Zusammenhalt – häufig aber auch einfach nur der Belustigung. „Turbojugend“, sagt El Presidente, „bedeutet für mich vor allem organisierter Spaß“.

Fünfte Weltturbojugendtage, Freitag und Samstag in Hamburg. Anlaufstellen: Knust an der Feldstraße und Fred’s Schlemmereck auf dem Hamburger Berg