uli hannemann, liebling der massen : Die göttlich wirkende Kraft des archaischen Männerbundes
Es ist das schmerzhafte Los des Abwehrspielers: schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit habe ich beim Autorenfußball die außerordentliche Ehre, die blind abgefeuerte Granate eines meiner prominenten Mitspieler mörderisch in die Nüsse zu bekommen. Doch Ehre ist nicht immer gleich Vergnügen. Im Gegenteil, stehen diese beiden Bruderbegriffe einander oft unversöhnlich gegenüber wie Kain und Abel. Nach Luft ringend wälze ich mich auf dem angefrorenen Kunstrasen. Wenige Minuten später geht es wieder. Ohne weitere Zwischenfälle bringen wir das Trainingsspiel zu Ende.
Hernach begutachte ich unter der Dusche meinen violett angelaufenen Zeugungsapparat. Auch dem einen oder anderen der Kollegen präsentiere ich das gute Stück zur Farbkontrolle. Am folgenden Abend erzähle ich Q. beim Wein beiläufig davon. Sie wirkt sichtlich irritiert: „Du hast was…?“, macht sie einen auf Weltkatholikentag, „ich würde ja nie auf die Idee kommen, in der Umkleide vom Fitnesscenter jeder fremden Frau meine Muschi vorzuführen.“ Sie hat offenbar gar nichts verstanden.
Ich sehe grundsätzlichen Klärungsbedarf. „Mein liebes Fräulein“, beginne ich meinen Vortrag, „du hast ja wohl ganz offensichtlich gar nichts verstanden. Es handelt sich hier nicht um irgendwelche fremden Frauen. Vielmehr handelt es sich um überhaupt keine Frauen, sondern um Männer. Um meine Fußballmannschaft. Wir kennen uns seit Jahren!“ Sie verschluckt sich übel und schnappt nach Luft, beinah wie ich am Vortag. Ich nutze die Chance zu einem bewegenden Monolog. „Du hast überhaupt keine Ahnung, was das bedeutet. Wir sind eine Gemeinschaft, wir sind Brüder, wir haben keinerlei Geheimnisse voreinander. Unser Team verbindet weit mehr, als es beispielsweise das banale Band der Homosexualität vermögen würde. Das spannt nebenbei gesagt, ob latent oder offen, obendrein einen unsichtbaren Regenbogen über uns alle hinweg – von der Nummer eins bis hin zur Nummer zweiundzwanzig. Wir schwitzen zusammen, wir bluten zusammen, wir duschen zusammen, wir trinken zusammen. Wir lachen zusammen und wir weinen zusammen. Wir kotzen zusammen. Wir streiten zusammen, wer die Bälle aufpumpen darf, und wer vorm Minister einen Knicks machen muss. Wir sind wie ein riesiges Ehepaar aus elf Frauen und elf Männern, alle mit behaarten dicken Waden. Dieser Pakt“, hole ich zum finalen Schlag aus, „ist weit bedeutender noch zum Beispiel als die Liebe. Die Liebe ist im Vergleich zur göttlich wirkenden Kraft dieses archaischen Männerbundes nur eine Plastikrose, die in einer vollgepissten Rummelplatzpfütze liegt und dort vergeblich versucht zu blühen.“
An dieser Stelle steigere ich mich in einen pathetischen Rausch. „In der Geschichte gibt es unzählige magische Beispiele dafür, was Männer im Angesicht eines gemeinsamen Ziels einander sein können: die Weltmeistermannschaft von 1954, Hitler und Speer, Achilles und Siegfried, Hagen und Mettmann…“ Vor Ergriffenheit habe ich Tränen in den Augen. Meine Stimme versagt. Ich setze die Weinflasche an und leere sie in einem Zug. „Dein Sack muss ja wirklich komplett im Arsch sein“, sagt Q.
ULI HANNEMANN