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Archiv-Artikel

Keine Rassenkunde im Zeltlager mehr

Seit fast 20 Jahren versucht die Heimattreue Deutsche Jugend, Kinder und Jugendliche zu überzeugten Neonazis zu erziehen. So soll eine rechte Elite entstehen. Jetzt hat Innenminister Schäuble den Verein verboten. Laut Experten ein überfälliger Schritt

VON ANDREA RÖPKE UND ANDREAS SPEIT

Die Verbotsverfügung dürfte die „Heimattreue Deutsche Jugend – Bund für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V“ (HDJ) nicht überrascht haben. Seit fast zwei Jahren fordern Politiker ein Verbot des Vereins, der Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 29 Jahren im rechtsextremen Geist erziehen will. Am Dienstag in den frühen Morgenstunden erhielt nun der HDJ-Bundesvorsitzende Sebastian Räbiger die Verbotserklärung.

„Die HDJ missbraucht die Jugendarbeit, um Kinder und Jugendliche zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen“, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Begründung des Verbots. Das Innenministerium ging dabei nach Paragraph 3 des Vereinsgesetzes vor, da sich die HDJ auch in „aggressiv-kämpferische Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ stelle.

Am Morgen fanden bei Funktionären der Heimattreuen Deutschen Jugend in Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen Durchsuchungen statt. Einige der HDJ-Kader sind seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene von NPD bis Freien Kameradschaften aktiv, lösten Ermittlungen und Verurteilungen wegen Körperverletzung, Wehrsportübungen, Waffenbesitz und Volksverhetzung aus.

Im vergangenen Oktober standen Ermittler schon einmal vor Räbigers Haus. Im Vorfeld des Verbots hatte das Innenministerium in über 80 Räumlichkeiten von HDJ-Funktionären Razzien angeordnet.

Seit den 1990-Jahren unterzieht die HDJ Kinder und Jugendliche bei Fahrten, Zeltlagern und Wanderungen einer nationalistischen und antidemokratischen Bildungsdressur inklusive Körperertüchtigung. Schon lange ging es dabei nicht nur um die rund 400 HDJ-Mitglieder und ihr Umfeld, der Verein umwarb auch Kinder außerhalb der Szene. Bei den Zeltlagern, an dessen Toren „Der Heimat und dem Volke treu“ stand, wurden planmäßig „Grenzfragen“ geklärt, NS-Größen verherrlicht und „Rassenkunde“ wurde betrieben. Die Spannung zwischen Schulung und Abenteuer belastete die Kinder. Sie seien hin- und hergerissen, berichten Aussteiger. „Die HDJ ist mehr als eine Erziehertruppe, sie ist Gesinnungsgemeinschaft nach dem nationalsozialistischen Lebensbundprinzip“, betont Reinhard Koch, Leiter der „Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt“ (Arug) aus Braunschweig.

Besonders Frauen stützen die Strukturen der HDJ. Sie legen auch außerhalb der Treffen ihre Verhaltensmuster nicht ab, treten mit Rock und Zöpfen auf, geben ihren zahlreichen Kindern germanische, nordisch klingende Namen. Anglizismen werden strikt vermieden. Auf ihrer Website wirbt die HDJ besonders mit ihren Freizeitangeboten und Ferienlagern. Im Vereinsmagazin „Funkenflug“ wurde HDJ-Chef Räbiger deutlicher: „Wir brauchen Kämpfer von fanatischer Besessenheit.“

Noch 2007 fühlte sich das Bundesinnenministerium für die HDJ nicht so recht zuständig. Eine Sprecherin sagte damals der taz, die HDJ sei zwar „rechtsextrem“, aber „formal“ nicht bundesweit aktiv. Zu diesem Zeitpunkt hatte die HDJ ihren Bundessitz längst in Berlin und war im schleswig-holsteinischen Plön ins Vereinsregister eingetragen. „Einheiten“ der HDJ bestanden in mehreren Bundesländern. „Zu lange wurde die HDJ als interne Angelegenheit der Neonazi-Szene heruntergespielt“, urteilt Rechtsextremismusexperte Koch. Bis zum Verbot durchliefen hunderte Kinder und Jugendliche die HDJ, schätzen Experten.

Das Verbot war längst überfällig, meint Koch: „Allein schon wegen des Kindeswohls.“ Allerdings sei zu befürchten, dass nun ein neues rechtes Parallelerziehungsangebot aufgebaut werde. Auch Fachleute von SPD, FDP, Grünen und der Linkspartei sprachen am Dienstag von einem überfälligen Schritt und forderten zugleich mehr Prävention.