: Der doppelte Atomskandal
STROMPREIS Wie die AKW-Betreiber die Verbraucher mit den Erneuerbaren abzocken – und Laufzeitverlängerungen das Ende der Energiewende sind
BERLIN taz | Im Mai 2009 war es so weit: Die Erneuerbaren Energien lieferten in den Mittagsstunden am Himmelfahrt-Wochenende mehr Strom, als die deutschen Haushalte eigentlich brauchten. Am Pfingstwochenende 2009 wiederholte sich das, und Fronleichnam schon wieder: Dank der Sonnenkraft produzierten die grünen Kraftwerke mehr Strom, als in Deutschland verbraucht wurde.
Dank des weiteren Ausbaus der Erneuerbaren wurden solche Situationen auf dem deutschen Strommarkt 2010 zur Normalität. Das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes) hat im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe untersucht, was das für die deutsche Stromwirtschaft bedeutet. „Wir stehen vor einem massiven Zielkonflikt“, fasst Iwes-Experte Carsten Pape das Ergebnis zusammen. Die regenerativen Stromproduzenten genießen nämlich einen sogenannten „Einspeise-Vorrang“: Decken Wind-, Wasser-, Biomasse-, Solar- oder Geothermie-Kraftwerke den Strombedarf, müssen alle anderen deutschen Kraftwerke abgeschaltet werden – also Kohlekraftwerke genauso wie Gas- oder Atomkraftwerke.
Das allerdings ist technisch gar nicht möglich: Atomreaktoren beispielsweise haben einen technisch komplizierten und deshalb langwierigen An- und Abfahrtsprozess. Selbst wenn die vier Atomkonzerne Deutschlands wollten: Sie haben gar keine Möglichkeit, die juristisch verbriefte Einspeisegarantie der Erneuerbaren umzusetzen. Weil aber im Stromnetz immer nur so viel Strom sein kann, wie von den Verbrauchern auch benötigt, müssen schließlich Windparks abgeschaltet werden.
Wer nun glaubt, dies sei ein Skandal – schließlich wird Atommüll produziert, wo doch zur gleichen Zeit Windräder komplett müllfreien Strom liefern könnten –, der irrt! Der Skandal nämlich ist, dass die Verbraucher dafür doppelt zahlen müssen. Zum Beispiel an Vattenfall im vergangenen Januar. „Im Netz war so viel Strom aus AKWs, dass ganze Windparks im Netzverantwortungsbereich von Vattenfall abgeschaltet werden mussten“, erläutert Jürgen Quentin, Jurist bei der DUH. Juristisch gedeckt sei dies durch einen Passus im Energiewirtschaftsgesetz.
Allerdings muss der Netzbetreiber – in diesem Falle Vattenfall – dann den Windparkbetreiber für den nicht produzierten Strom entschädigen. „Und dies machte der Konzern über die Umlage nach Erneuerbare-Energien-Gesetz“, so jetzt Quentin. Bedeutet: Die Privathaushalte zahlen doppelt – einmal dafür, dass Vattenfall Atomstrom ins Netz lieferte, ein zweites Mal dafür, dass der Windparkbetreiber keinen Windstrom produzieren konnte und entschädigt werden muss.
Rainer Baake, Chef der Deutschen Umwelthilfe, prognostiziert, dass es immer häufiger zu dieser Form von Kundenabzocke kommen wird: „Das Märchen von der Harmonie der Erneuerbaren mit der Atomkraft ist entlarvt“, so Baake. Klar sei, dass die Erneuerbaren noch Zeit brauchen, um zur tragenden Säule der deutschen Energieversorgung zu werden. Baake: „Um die Schwankungen der Regenerativen auszugleichen, brauchen wir deshalb schnell einsetzbare Gaskraftwerke statt solch schwerfälliger Erzeugungssysteme wie Atomreaktoren.“ Für ihn sei deshalb klar, dass der Tag, an dem Laufzeitenverlängerungen für AKWs beschlossen werden, „das Ende des Einspeisevorrangs für die Erneuerbaren nach sich ziehen muss“. NICK REIMER