: „Die Lektürespuren sind der eigentliche Wert“
BIBLIOTHEK Die Universitätsbibliothek Oldenburg hat die 11.000-bändige Privatbibliothek von Karl Jaspers gekauft. Die soll Aufschluss darüber geben, wie der Philosoph gearbeitet hat. Der hatte Deutschland aus Zorn über die Nachkriegspolitik den Rücken zugewandt
■ seit dem Jahr 2000 Direktor der Bibliothek der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg.Foto: privat
taz: Herr Wätjen, hat Karl Jaspers auch Krimis oder Gartenbücher in seiner Bibliothek gehabt?
Hans-Joachim Wätjen: Das kann ich Ihnen noch nicht beantworten. Die 11.000 Bände sind noch unausgepackt in über 500 Kartons. Kunstbücher sind sicher dabei, aber ob es Kochbücher gibt – da müsste ich Hans Saner fragen, den letzten persönlichen Assistenten von Karl Jaspers. Er kennt die Bibliothek in- und auswendig, weil er seit 1974 in ihr gelebt hat.
Diese Bücher müssen ihm sehr wichtig gewesen sein.
Er ist selbst Philosoph, er hat auch die Urheberrechte von Karl Jaspers geerbt und Schriften von ihm ediert und herausgegeben. Er hat die Bibliothek weiter gepflegt und auch Neu-Übersetzungen von Jaspers aufgenommen.
Es heißt, Saner sei es wichtig gewesen, dass die Bibliothek als Ganzes erhalten bleibe. Warum hat er sie der Unibibliothek Oldenburg nicht geschenkt, statt sie zu verkaufen?
Karl Jaspers hat sie Hans Saner auch mit dem Gedanken geschenkt, ihm ein Stück Altersversorgung zu vermachen. Und wenn man es unterm Strich betrachtet, hat Hans Saner mit der Bibliothek hohe Kosten gehabt: Er hat letztlich vier Wohnungen in Basel für die Bücher gemietet.
Sind 11.000 Bücher eigentlich viel für einen Philosophen dieses Ranges?
Ich würde es so betrachten: Wie viele Seiten kann man pro Tag lesen? Hans Saner hat ermittelt, dass über 35 Prozent der Bücher Anstreichungen von Karl Jaspers haben – und zwar intensive. Fast 20 Prozent haben Randbemerkungen – das ist schon eine enorme Leseleistung. Die Lektürespuren sind der eigentliche Wert der Bibliothek.
Inwiefern?
Man kann daran ablesen, wie Karl Jaspers gearbeitet und gedacht hat. Wir finden Zettel und Rezensionen in den Büchern, die wir scannen und mit dem Katalogisat verknüpfen. Wir werden die Bibliothek auch ins Internet stellen, so dass man sie virtuell so besuchen kann, wie sie nach der Systematik von Jaspers aufgestellt war.
Wollen Sie damit mehr Menschen für den zu Unrecht vergessenen Philosophen begeistern?
Ich denke, es gibt großen Nachholbedarf in der Rezeption. Nehmen Sie das Thema der Ethik in der Medizin: Die Frage nach der Verantwortung des Arztes und des Psychotherapeuten spielt eine große Rolle in seinem Werk.
Hans-Joachim Wätjen
Sie zeigen Stücke aus dem Arbeitszimmer – wie viel erfährt man dadurch über den Privatmann Jaspers?
Es gibt Familienstücke, etwa Aquarelle des Vaters oder die Schreibmaschine seiner Frau. Eindrucksvoll sind die Zyankalikapseln, die er sich über einen befreundeten Arzt besorgt hat. Mit ihnen wollte sich das Ehepaar Jaspers – seine Frau war Jüdin – im Fall des Falles umbringen.
Wie empfinden Sie es, dass die Bücher Jaspers, der wegen der Bundeskanzler-Wahl des NSDAP-Mitglieds Kiesinger Schweizer wurde, nach Deutschland zurückkehren?
Es gibt eine ganz starke Verbindung des Oldenburger Bürgertums zur Familie Japsers. Der mütterliche Teil, die Familie Tanzen, lebt noch hier. Und bei einem Symposium zu seinem 125. Geburtstag hat man gespürt, welche Resonanz er hier bekommt. Ein Oldenburger hat mir eine Villa als Schenkung zur Unterbringung der Bibliothek angeboten. INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF