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Archiv-Artikel

Die Legende vom Kriegsverräter

WIDERSTAND „Kriegsverrat“ zeigt, wie bis 2009 einfachen Wehrmachtssoldaten das Recht auf Widerstand abgesprochen wurde

Die deutsche Vergangenheitsbewältigung sieht, wenn man sie mit jener in Japan oder der Sowjetunion vergleicht, imposant aus. Nicht vergessen ist Teil der deutschen Staatsräson geworden. Wenn man die Sache allerdings nicht vom Fesselballon aus, sondern en detail betrachtet, sieht sie anders aus, nicht nur wegen der Elitenkontinuität zwischen NS-Reich und Demokratie. Der Unwille, das Nazi-Unrecht konkret anzuerkennen, war bis in die Gegenwart äußerst hartnäckig. Dies zeigt pars pro toto die langwierige Debatte um die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter, die 2009 gegen den zähen Widerstand der Union vom Bundestag beschlossen wurde.

Rot-Grün hatte 2002 die Urteile gegen Deserteure und Wehrdienstverweigerer aufgehoben. Doch beim „Kriegsverrat“, dem „im Felde“ begangenen Landesverrat, traute sich die SPD dies nicht – sie fürchtete den Vorwurf, Verrätern von Kameraden ein Denkmal zu bauen.

Das war falsch. Die Todesurteile wegen Kriegsverrat waren Teil des NS-Terrors, der sich gegen fast jede Form von Widerstand richten konnte. Etwa 20.000 wurden als Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Kriegsverräter getötet – es ist kein Fall bekannt, in dem einer eigennützig andere verriet. Das war eine Legende, um die Opfer zu diffamieren.

Das Verdienst, 64 Jahre nach 1945 die Rehabilitierung der Kriegsverräter initiiert zu haben, gebührt vor allem dem Linkspartei-Abgeordneten Jan Korte. Korte und Dominic Heilig haben den zähen Kampf in dem Sammelband „Kriegsverrat“ nachgezeichnet. Aus dieser Beschreibung lässt sich destillieren, wie sich ein Block aus Leugnung und Ignoranz aufweichen lässt. Nötige Stoffe sind Beharrlichkeit und Interesse an der Sache. Entscheidend war, dass es gelang, auch Konservative wie Joachim Gauck und einzelne Christdemokraten zu gewinnen. So bröckelte die Front, dann brach sie.

Das Buch eröffnete ein langes biografisches Interview mit Ludwig Baumann, der 1942 aus der Wehrmacht desertierte und durch Glück überlebte. Später engagierte er sich für die Rehabilitierung der NS-Justizopfer, was lange ein einsames Geschäft war. Zur Rehabilitierung der Kriegsverräter sagt Baumann: „Ich will nicht pathetisch werden, aber es ging ein Traum in Erfüllung.“

STEFAN REINECKE

■ Jan Korte/ Dominic Heilig (Hrsg.): „Kriegsverrat. Vergangenheitspolitik in Deutschland“. Karl Dietz Verlag, Berlin 2011, 208 S., 14,90 Euro