: Kommando des Geldes
Die Pumpökonomie hat den Crash provoziert, ihr Ende würde die Depression aber nur vertiefen. Mit „Mehr Geld“ der Brüder Heidenreich können wir uns schon einmal auf den kommenden Schock einstimmen
VON ROBERT MISIK
Was die Sache mit dem Geld betrifft, da ist unsere Vorstellungswelt noch ziemlich retro. Letztlich hält sich stur die Idee, dem „umlaufenden“ Geld müssten irgendwelche „realen“ Werte gegenüberstehen – wobei „umlaufend“ relativ ist, weil das meiste ja in Computernetzwerken als Zahl rumläuft. Ein bisschen haben wohl die meisten von uns noch die Fantasie, dem Geld lägen irgendwelche Goldbarren zugrunde, die sich in Zentralbanktresoren stapeln (oder deren moderne Version, die Devisenreserve).
Aber Geld kann sich vermehren, ohne Deckung und ohne dass es dadurch schon minderwertiges Spielgeld würde. Und es sind nicht nur die Zentralbanken, die zur Geldvermehrung beitragen.
„Wir gehen davon aus, dass Geld eine Struktur in die Welt setzt, die das einfache Kommando Mehr! absondert“, schreiben die Brüder Ralph und Stefan Heidenreich in ihrem Buch „Mehr Geld“. Es handelt von den Macken des Geldes und versucht nicht weniger, als die gegenwärtige Weltfinanzkrise zu erklären. Es ist ein Antiserum gegen vorschnelle Urteile, wonach wir den Crash irren Spekulanten zu verdanken haben, die ein an sich gesundes System – „unseren Wohlstand“ – zugrunde richteten. Denn das ist zwar nicht total falsch, aber auch nicht exakt richtig.
Schließlich ist seit mindestens sechzig Jahren der Massenkonsum der Mittelklasse der Wachstumsmotor schlechthin. „Die moderne Mittelklasse entsteht mit dem Konsum“, schreiben die Autoren. Aber die Konsumspirale darf nicht abbrechen, wenn nicht das Wachstum abbrechen soll. Wer irgendwie kreditwürdig ist, erhält Konsumkredite. Wenn alle schon Konsumkredite haben, erhalten auch jene welche, die nicht kreditwürdig sind. Und wer sich mit den Krediten wertvolle Güter kauft, der hat dann etwas, womit er Hypotheken für neue Kredite besichern kann. Wenn es sich dabei auch noch um Immobilien handelt, deren Marktwert scheinbar stetig steigt, dann ist der Ausweitung des Kredits, damit der Schöpfung von Geld, damit dem Konsum und damit den Reichtumsgewinnen kein Ende gesetzt. Bis das dicke Ende kommt.
„Mit der Ausweitung des Kredits auf Konsumenten begann die Phase, die heute zu Ende geht. Man hat, solange es ging, künftiges Einkommen für gegenwärtigen Konsum aufgewendet“, schreiben die Autoren, und: „So wurde jeder Konsument eine kleine Bank, mit einem kleinen Kredit-Geschäft, das konsumierte Werte als Sicherheiten nahm. Ausgegebener Kredit verwandelte sich in Sicherheit für neuen Kredit. Je mehr Kredit man aufnahm, desto mehr Kredit erhielt man.“
Das liegt natürlich ganz in der Logik des „consumer-driven capitalism“, wie der in der Anglo-Soziologie heißt. Die Kredite zu bündeln, zu verbriefen und in der Welt als „Werte“ zu verkaufen, um so weiter Kredite schöpfen zu können, steht damit vollkommen im Einklang, ebenso die Praktiken der Banken, Kreditgeschäfte zu tätigen, die ihre Eigenkapitalbasis um ein Vielfaches überschreiten. Das Spekulative ist hier nicht das Gegenteil des Realen. Ohne dieses Spekulative gäbe es schon längst eine „reale“ Rezession.
Das ist auch so eine Art Keynesianismus, nur dass nicht der Staat die Nachfrage ankurbelte, sondern die Finanzwirtschaft. Diese globale Konstellation kracht nun, weil der Markt für minderwertige Immobilien in den USA ausfällt. Daran kann man die Störungsanfälligkeit des Systems erkennen: „Der anfallende Schaden“, so die Autoren, „entspricht weniger als einem Prozent des Weltvermögens. Doch mittlerweile scheinen die Effekte auf das gesamte System unabsehbar. Das ist, als drohe ein Auto, bei dem das Rücklicht ausfällt, spontan zu explodieren.“
Die Autoren – Ralph Heidenreich, Programmierer und Landvermesser, und sein Bruder Stephan, freier Autor und Kulturwissenschaftler – haben ein kluges, durchaus eigenwilliges Buch geschrieben. Im Resultat ein wenig jargonhaft, hat es eine gehörige Portion Deleuze-Guattari-Schneidigkeit. Das Geld als Wunschmaschine, das Vermögen des Geldes, sein Heilsversprechen, das noch in der quasi-religiösen Sprache (Credo und Kredit, Glaube und Gläubiger, Schuld und Schuldner) anklingt, dies blitzt eher aphoristisch auf.
Das Buch liefert dennoch viele Details zum Verständnis eines Geschehens, dessen Folgen wir noch gar nicht überblicken können. Anders als bei der Mexiko- oder der Asienkrise ist der Crash nicht regional, anders als beim Platzen der Dot.com-Blase beschränkt er sich nicht auf eine Branche. Er erschüttert die Fundamente – die gesamte Wasserkette, an deren Ende der Konsument als Wirtschaftsankurbler letzter Instanz steht.
Die Alternative zum Kaufen auf Pump könnte eine tiefe Depression sein. Was das Finanzsystem stabilisieren soll – ein „gesunderes“ Verhältnis zwischen Eigenkapitalbasis und Kreditgeschäft der Banken –, könnte sich erst recht als tödliche Medizin herausstellen. Im Rahmen des heutigen Systems wird jede Gesundung ein Schockgeschehen.
Die Heidenreichs reißen auf zwei Seiten eine Alternative an, die da lautet: Mehr Demokratie – die Güter „wenn nicht gleich, so doch wenigstens ähnlich zu verteilen“. Zugegeben, der Ausweg ist nicht die Stärke dieses Buches. Aber wer das den Autoren vorwerfen will, der werfe den ersten Geldschein.
Ralph Heidenreich, Stefan Heidenreich: „Mehr Geld“. Merve Verlag, Berlin 2008, 152 Seiten, 11 Euro