: Die Retterin des Retters
LIEBE „Cap Anamur“ wird nächste Woche 30 Jahre alt. Den Gründer Rupert Neudeck, inzwischen ausgestiegen, kennen alle. Mindestens genauso wichtig war Christel Neudeck, seine Frau
■ Eheleute: Christel und Rupert heiraten 1970. Sie haben drei Kinder. Gemeinsam wollen die Neudecks Notleidenden helfen.
■ Matrosen: Mit dem Frachter „Cap Anamur“ und anderen Schiffen können sie über 10.000 vietnamesische Flüchtlinge retten, das erste Mal im Sommer 1979. Drei Jahre später gründen sie die gleichnamige Organisation, die nächste Woche Jubiläum feiert.
■ Rastlose: 2002 steigen die Neudecks bei „Cap Anamur“ aus. Seit 2003 sind die „Grünhelme“ ihr neues Projekt: Christen und Muslime helfen zusammen in Kriegsgebieten.
VON JANA PETERSEN
Rupert Neudeck wundert sich. Er steht vor der Kiwipflanze in seinem Garten. Sie wächst bis auf den Balkon, alles in allem ist sie gut sechs Meter lang. „Wie die hergekommen ist, wissen wir nicht“, sagt er. Die Kiwi? Christel Neudeck lacht. „Die hab ich doch vor zwanzig Jahren gekauft.“ Typisch Rupert, sagt sie, den interessiert das einfach nicht. Rupert Neudeck ist Retter, ist „Cap Anamur“, ist Grünhelm. Seit dreißig Jahren organisiert er humanitäre Hilfe. Aber Neudecks Geschichte ist nicht nur eine Rettergeschichte. Sie ist auch eine Liebesgeschichte: Christel Neudeck ist seine Frau, die Retterin des Retters.
Troisdorf, geordnete, westdeutsche Kleinstadtidylle. Christel Neudeck sitzt am Tisch und isst Schinkenbrot. Sie ist 66 Jahre alt, und sie ist erkältet. Ansehen kann man ihr beides nicht. Hier, in diesem Wohnzimmer, begann vor 30 Jahren ihre Arbeit für das Komitee Cap Anamur. Seit 2003 ist es die Schaltzentrale der Grünhelme. Im Kamin liegt ein Birkenscheit, auf dem Sims steht eine Kanne aus Äthiopien.
Rupert Neudeck rechnet, 1967, nein, 1969 haben sie sich kennengelernt. Er Intellektueller, sie Arbeiterkind. Es ging alles „ruck, zuck, zack, zack“: Heiraten, Kinder, Reihenhaus. 1979 hört Rupert Neudeck von den vietnamesischen Boatpeople. Sie entscheiden, zu helfen. Christel Neudeck arbeitet „full time, full night“. Das Telex im Flur lärmt die ganze Nacht. Tagsüber nimmt Christel Neudeck Spenden entgegen, organisiert Flüge, betreut die Mitarbeiter, versorgt die Kinder.
Tochter Yvonne war neun, als das Projekt begann, Sohn Marcel vier. Wenn sich Kandidaten als Helfer vorstellten, fragten die Eltern sie: „Ist das ein Komitee-Typ?“ Ihr Urteil hatte Gewicht. Milena, das „Komitee-Kind“, wurde mitten in die Rettungsaktionen hineingeboren. Im Haus herrschte Chaos. „Gegen die bürgerliche Ordnung“, sagt Neudeck und freut sich. „Hauptsache, die Kinder sind glücklich und die Toiletten sauber“, sagt seine Frau.
Wie das wohl läuft mit Familie und Beziehung, wenn einer ständig weg ist? Aber nur am Anfang war Neudeck mal sechs Wochen auf dem Schiff. Sonst saß er als Redakteur an seinem Schreibtisch im Deutschlandfunk. Einfacher machte das die Sache nicht: Kam er abends nach Hause, ging die Arbeit dort weiter. Manchmal flog er am Freitag nach Dienstschluss in Krisengebiete, um Montagmorgen wieder im Büro zu sitzen. Wie sie das alles geschafft haben, wissen sie auch nicht mehr. Fragt man Christel Neudeck, ob sie sich Sorgen um ihren Mann macht, sagt sie: „Rupert ist so dünn, dass die Kugeln an ihm vorbeifliegen.“
Es ist nicht einfach mit einem wie Neudeck. Bei anderen gibt es neben der Familie noch Freunde, Bekannte, Hobbys. Für Rupert Neudeck kommen gleich Palästina, Ruanda, Afghanistan. „Er hat da keine Distanz“, sagt seine Frau. Auf einem Gartenfest fragen Freundinnen: „Christel, du hast doch einen Mann, oder? Wo ist der denn?“ Das soll ein Spaß sein, aber sie findet das gar nicht witzig. Sie rettet ihn vor den einfachen Dingen. Vor der Nachbarfalle zum Beispiel. „Grüß bloß alle prophylaktisch“, sagt sie, wenn er nicht weiß, wer ihm in ihrer Straße entgegenkommt.
RUPERT NEUDECK
Christel Neudeck hat oft darüber geschimpft, aber dafür gehört sie nicht zu den Frauen, die von ihren Männern nur hören, wo es Sonderangebote gibt: „Das wird mir nie passieren“, sagt sie, „er hat immer was zu tun.“ Auf dem Tisch liegt ein Buch, ‚Afghanistan nach den Taliban‘, in englischer Sprache. „Er bringt Ideen rein.“ Sie sieht zufrieden aus. Wenn Neudeck durch das Zimmer wuselt, summt er.
Sie hat auch gezweifelt, „Rupert war sich immer sehr sicher“. Ob sie ohne „Cap Anamur“ noch zusammen wären? Christel Neudeck weiß es nicht. „Vielleicht hätten wir uns ein anderes Projekt gesucht.“ 2003 jedenfalls gründet Neudeck die Grünhelme. Es muss weitergehen, auch mit jungen Leuten. „Die Gefahr, dass man unter Seinesgleichen vermodert, ist groß“, sagt Rupert Neudeck. Er ist 70. Das kann man leicht vergessen, wenn er erzählt.
Er war immer der Typ mit dem großen Maul, sie „Frau Generalsekretär“, die wichtigste Entscheidungsträgerin. Ein Zusammenspiel, weniger perfekt als organisch: „Könnte man gar nicht besser erfinden“, sagt Rupert. „Auch mit Krisen“, sagt Christel. Sie mussten es einfach tun, auch wenn alles dabei draufging: Freizeit, Wochenende, Urlaub: „Man muss fleißig sein“, sagt Rupert Neudeck. „Gegen das Elend der Welt kann ich nicht anstinken“, sagt seine Frau.